Abteilung für Evolutionäre Ökologie: Forschungsfokus

Wir untersuchen evolutionäre Prozesse, die die Reaktionen von Wildtierpopulationen auf Veränderungen in ihrer biotischen und abiotischen Umwelt bestimmen. Dabei konzentrieren wir uns auf die Prozesse der natürlichen und sexuellen Selektion und untersuchen Merkmale, Mechanismen und Trade-offs, die das langfristige Überleben von Wildtierpopulationen begrenzen oder fördern, wie z.B. Auswanderung oder sexuelle Konflikte, oder die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind, wie z.B. Geschlechterrollen. Um dies zu erreichen, sammeln wir langfristige, individuenbasierte Lebensgeschichts- und Fitnessdaten von Populationen in freier Wildbahn und führen Experimente an Populationen durch, die unter naturnahen Bedingungen leben.

Beispiel: Geschlechterdominanz und Abwanderung bei Tüpfelhyänen im Ngorongoro-Krater

Obwohl Abwanderung und sexuelle Konflikte Schlüsselelemente ökologischer und evolutionärer Prozesse sind, verstehen wir immer noch nicht vollständig, warum sich bei den meisten Spezies die Neigung zur Abwanderung zwischen und innerhalb der Geschlechter voneinander unterscheidet und wann und weshalb das eine Geschlecht das andere sozial dominiert. Anhand von Daten unseres Langzeitprojekts (>25 Jahre) an Tüpfelhyänen im Ngorongoro-Krater, Tansania, zeigten wir, dass die Entscheidung von Männchen abzuwandern, eine Anpassung an einfache Regeln der Partnerwahl der Weibchen sein kann, die sich zur Vermeidung von Inzucht entwickelt haben (Höner et al. 2007). Wir zeigten zudem zum ersten Mal bei einem sozialen Säugetier, dass Männchen, die abwandern, und solche, die zu Hause bleiben, sich nicht a priori unterscheiden und sogar einen ähnlichen Fortpflanzungserfolg haben (Davidian et al. 2016). Die Entscheidung, zu Hause zu bleiben oder abzuwandern, ist das Ergebnis eines Prozesses, bei dem alle Männchen die gleiche Frage beantworten: Welche Gruppe bietet die besten Fitnessaussichten? Unsere Langzeitdaten von Hyänen erlauben zudem, zu testen, ob die Dominanz eines Geschlechtes über das andere, wie weithin angenommen, die Folge eines Geschlechtsdimorphismus` ist oder auf Unterschieden der Aggressivität beruht (Vullioud et al. 2019). Dabei zeigte sich, dass Hyänenweibchen die Männchen dominieren, weil sie sich auf eine größere soziale Unterstützung verlassen können als die Männchen, und nicht, weil sie in einem individuellen Merkmal stärker oder konkurrenzfähiger sind. Dies legt nahe, dass die soziale Dominanz eines Geschlechts über das andere - ein Merkmal, das die Geschlechterrollen charakterisiert - keine direkte Folge des Geschlechts per se oder der körperlichen Stärke sein muss, sondern durch das soziale Umfeld bestimmt werden kann.

Referenzen

Höner OP, Wachter B, East ML, Streich WJ, Wilhelm K, Burke T, Hofer H (2007) Female mate-choice drives the evolution of male-biased dispersal in a social mammal. Nature 448(7155): 798-801.

Davidian E, Courtiol A, Wachter B, Hofer H, Höner OP (2016) Why do some males choose to breed at home when most other males disperse? Science Advances 2: e1501236.

Vullioud C, Davidian E, Wachter B, Rousset F, Courtiol A, Höner OP (2019) Social support drives female dominance in the spotted hyaena. Nature Ecology & Evolution 3: 71-76.

 

Wir untersuchen physiologische Prozesse, die es Wildtieren erlauben, ihre Körperfunktionen auch in saisonalen Lebensräumen aufrechtzuerhalten, Krankheitserreger zu bekämpfen, sich räumlich und zeitlich zu orientieren und Energie für große Wanderungen zu mobilisieren. Um diese physiologischen Prozesse zu verstehen, untersuchen wir Tiere von der molekularen und zellulären Ebene bis hin zum ganzen Organismus oder  Familienverband. Wir studieren, in welchem Umfang sich ändernde Umweltbedingungen, wie z.B. Klimawandel, auf Wildtiere auswirken, wann z.B. ihr physiologisches Potential an Grenzen stößt und was dies für die Synchronisation mit biotischen und abiotischen Faktoren bedeutet. Wir führen dafür Experimente an in menschlicher Obhut gehaltenen Wildtieren durch und erfassen physiologische Daten von freilebenden Wildtieren in ihrem natürlichen Lebensraum. Dazu nutzen und optimieren wir vor allem minimal-invasive Methoden, indem wir Probenmaterial wie Atem, Blut und Kot analysieren und moderne Bio-Logger einsetzen, die die Beobachtung von Körperfunktionen erlauben, ohne die natürlichen Bewegungen der Wildtiere zu behindern.

Beispiel: Energiestoffwechsel migrierender Fledermausarten

Tiere müssen ausreichend Energie zur Deckung des täglichen Bedarfs zu sich nehmen. Wenn aufgrund saisonaler Engpässe nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, ziehen manche Tiere in geeignetere Gebiete.  Dabei müssen diese Tiere ihr oftmals eng begrenztes Energiebudget optimal an die Herausforderungen des Zugs anpassen. Wie Tiere dies machen und auf welche Lebensräume sie hierfür angewiesen sind, ist noch weitgehend unverstanden, aber wichtig, um ziehende Arten wirksam zu schützen. Daher untersuchen wir die Physiologie und die Verhaltensökologie migrierender Fledermausarten, deren Energiestoffwechsel von den hohen metabolischen Kosten des Flugs dominiert wird, und die gleichzeitig einer Vielzahl von anthropogenen Gefahren während des Zuges ausgesetzt sind (Voigt et al. 2015). Wir führen unsere Untersuchungen sowohl mit freilebenden Tieren entlang ihrer Zugstrecke, als auch unter kontrollierten Bedingungen mit temporär in menschlicher Obhut gehaltenen Tieren durch. Dieser ganzheitliche Ansatz erlaubt es, physiologische Prozesse detailliert zu betrachten und langjährige Paradigmen in Frage zu stellen. In der Vergangenheit wurde angenommen, dass fliegende Fledermäuse für die Echoortung keine zusätzliche Energie aufwenden müssen. Über Experimente an Rauhautfledermäusen in einem Windkanal konnten wir jedoch zeigen, dass die Echoortung bei hohen Schallintensitäten sehr wohl mit einer erhöhten Stoffwechselleistung einhergeht (Currie et al 2020). Wir vermuten daher, dass migrierende Rauhautfledermäuse während des Zugs mit relativ niedrigen Schallintensitäten echoorten, um ihr tägliches Energiebudget nicht über die Maßen zu belasten. Dass ziehende Fledermäuse ihr Energiebudget sehr präzise regulieren, konnten wir anhand vergleichender Untersuchungen im Windkanal und im Freiland feststellen. Über diese Experimente ermittelten wir die Geschwindigkeit, mit der Rauhautfledermäuse migrieren sollten, um mit minimaler Energie möglichst weite Distanzen zurückzulegen. Diese optimale Fluggeschwindigkeit konnten wir bei freilebenden, migrierenden Rauhautfledermäusen bestätigen (Troxell et al 2019). Über die Messungen der natürlichen Kohlenstoffisotope im Atem der Fledermäuse konnten wir zudem zeigen, dass migrierende Rauhautfledermäuse ihren Stoffwechsel aus zweierlei Quelle decken, indem sie einerseits Fettsäuren aus ihren Fettdepots verbrennen, andererseits aber auch Insekten jagen (Voigt et al. 2012). Ziehende Fledermäuse sind demnach auf insektenreiche Lebensräume entlang ihrer Zugstrecke angewiesen, was in Zukunft angesichts des Insektenschwunds immer schwieriger werden wird.

Referenzen

Currie, S. E., Boonman, A., Troxell, S., Yovel, Y., & Voigt, C. C. (2020). Echolocation at high intensity imposes metabolic costs on flying bats. Nature Ecology & Evolution, 4(9), 1174-1177.

Troxell, S. A., Holderied, M. W., Pētersons, G., & Voigt, C. C. (2019). Nathusius' bats optimize long-distance migration by flying at maximum range speed. Journal of Experimental Biology, 222(4).

Voigt, C. C., Sörgel, K., Šuba, J., Keišs, O., & Pētersons, G. (2012). The insectivorous bat Pipistrellus nathusii uses a mixed-fuel strategy to power autumn migration. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 279(1743), 3772-3778.

Voigt, C. C., Lehnert, L. S., Petersons, G., Adorf, F., & Bach, L. (2015). Wildlife and renewable energy: German politics cross migratory bats. European Journal of Wildlife Research, 61(2), 213-219.

 

Wir erforschen ökologische Prozesse, die uns helfen zu verstehen, wie Wildtiere mit ihrer biotischen und abiotischen Umwelt interagieren. Im Fokus stehen vor allem jntra- und interspezifische Beziehungen, d.h. Kontakte von Tieren mit Individuen ihrer eigenen und anderer Arten, einschließlich Konkurrenten, Räubern und Parasiten. Wir untersuchen die ökologischen Funktionen von Wildtieren in ihren Lebensräumen, einschließlich ihrer ökologischen Dienstleistungen und den potenziellen Schäden, die sie aus anthropozentrischer Sicht verursachen. Insbesondere konzentrieren wir uns auf i) Bewegungsökologie, ii) trophische Interaktionen und iii) Konkurrenz und Koexistenz von Wildtierarten. Dies erlaubt uns zu verstehen, wie widerstandsfähig Wildtierpopulationen gegenüber ökologischen und vom Menschen verursachten Störungen sind und welche Konsequenzen dies für ihren Fortbestand hat.

Beispiel: Überlebensfaktoren von Stadtwildtieren

Bis zum Jahr 2050 werden 70% der Weltbevölkerung in Städten leben. Städtische  Lebensräume werden daher expandieren, was zu einer verstärkten Belastung durch Lichtverschmutzung, Geräuschemissionen und Bodenversiegelung führen wird. Wildtiere müssen sich mit diesen neuen Herausforderungen arrangieren, um langfristig in Städten zu überleben. Wir untersuchen daher in der Berliner Metropolregion, welche Faktoren für das Überleben von Stadtwildtieren wie Füchse, Igel und Fledermäuse wichtig sind. Daraus entwickeln wir Handlungsempfehlungen, anhand derer man die Koexistenz zwischen Mensch und Wildtieren in Städten verbessern kann. Am Beispiel der obligat nachtaktiven Fledermäuse untersuchen wir den negativen Einfluss von künstlichem Licht bei Nacht auf deren Aktivität (Lewanzik und Voigt 2017, Voigt et al. 2020), um hierüber ökologisch nachhaltige Beleuchtungskonzepte zu entwickeln (Voigt et al. 2018), die einer Habitatfragmentierung durch Lichtverschmutzung entgegenwirken. Füchse und Igel dienen uns als Modelle, um die Voraussetzungen zu verstehen, die eine erfolgreiche Koexistenz ermöglichen (hohe Flexibilität in der Nahrungsaufnahme; Scholz et al. 2020) oder die Gründe, die zu Populationsverlusten führen (massive anthropogene Störungen, Barthel et al. 2020). Das Überleben von Stadtwildtieren ist wichtig, weil sie einerseits eine wichtige ökologische Rolle erfüllen, andererseits für die Stadtbevölkerung ein zentraler Bezugspunkt zur Natur darstellen. Daher erhalten wir in vielen dieser Projekte die  Unterstützung von Bürgerforschenden, die mit uns gemeinsam Stadtwildtiere erforschen.

Referenzen

Barthel LMF, Wehner D, Schmidt A, Berger A, Hofer H, Fickel J (2020) Unexpected gene-flow in urban environments: the example of the European hedgehog. Animals 10(12), 2315.

Lewanzik, D., & Voigt, C. C. (2017). Transition from conventional to light‐emitting diode street lighting changes activity of urban bats. Journal of Applied Ecology, 54(1), 264-271.

Voigt, C.C., Azam, C., Dekker, J., Ferguson, J., Fritze, M., Gazaryan, S. Hölker, F., Kones, G., Leader, N., Lewanazik, D., Limpens, H.J.G.A., Mathews, F., Rydell, J., Schofield, H., Spoelstra, K., Zagmajster, M., (2018) Guidelines for consideration of bats in lighting projects. EUROBATS publication series #8.

Voigt, C. C., Scholl, J. M., Bauer, J., Teige, T., Yovel, Y., Kramer-Schadt, S., & Gras, P. (2020). Movement responses of common noctule bats to the illuminated urban landscape. Landscape Ecology, 35(1), 189-201.

 

Wir untersuchen Prozesse, die für den Naturschutz relevant sind. Darunter verstehen wir einerseits die Ursachen, die den Rückgang von Populationen und Arten vorantreiben, und andererseits die Mechanismen und Maßnahmen, die dazu beitragen, die Anpassungsfähigkeit von Wildtieren zu verbessern und somit Wildtierpopulationen langfristig zu erhalten. Unser Ansatz zur Untersuchung von Naturschutz-relevanten Prozessen ist ganzheitlich, indem wir relevante Interessengruppen von Beginn an in unsere Studien einbeziehen, um gemeinschaftlich Empfehlungen zu generieren, die von Entscheidungsträgern und Interessengruppen auf allen relevanten Ebenen akzeptiert werden. Unser Ziel ist es, evidenzbasierte Managementempfehlungen zu formulieren, die Mensch-Wildtier-Konflikte in Koexistenz umwandeln. Als wesentliches Mittel zur erfolgreichen Umsetzung von Naturschutzzielen betrachten wir daher den Wissenstransfer.

Beispiel: Lösungen für einen Mensch-Wildtier-Konflikt in Namibia

Eine der größten frei lebenden Gepardenpopulationen befindet sich auf dem Privatland namibischer Rinderfarmer. Da Geparde dort gelegentlich Kälber reißen, kommt es zu Konflikten, die zu Abschüssen der Geparde führen können. In unserem fast 20-jährigen Forschungsprojekt konnten wir zeigen, dass die Ursache für den Konflikt in dem einzigartigen Kommunikationssystem der Geparde begründet liegt. Geparde unterhalten ein Kommunikationsnetz über Geländestrukturen oder Bäume, welches in regelmäßig verteilten Hotspots angelegt ist. Diese Hotspots werden häufig von Geparden aus der Umgebung besucht, um olfaktorische Informationen auszutauschen. Dies führt zu lokal erhöhten Gepardendichten und somit zur Bedrohung für Rinderkälber. Werden Zuchtherden mit jungen Kälbern von diesen Hotspots fern gehalten, können die Verluste um mehr als 80% reduziert werden und Geparde erbeuten stattdessen die natürlich vorkommenden Beutetiere. In einem gemeinsamen Prozess mit den Farmern ist es gelungen, aus den Forschungsergebnissen, die mittels Hochdurchsatztelemetrie gewonnen wurden, eine erfolgreiche Handlungsanweisung zu generieren und den Farmer-Gepard-Konflikt in Namibia deutlich zu entschärfen (Melzheimer et al. 2018, 2020).

Referenzen

Melzheimer, J., Streif, S., Wasiolka, B., Fischer, M., Thalwitzer, S., Heinrich, S. K., Weigold, A., Hofer, H., & Wachter, B. (2018). Queuing, take-overs, and becoming a fat cat: Long-term data reveal two distinct male spatial tactics at different life-history stages in Namibian cheetahs. Ecosphere 9(6): e02308. Doi: 10.1002/ecs2.2308.

Melzheimer, J., Heinrich, S. K., Wasiolka, B., Mueller, R., Thalwitzer, S., Palmegiani, I., Weigold, A., Portas, R., Roeder, R., Krofel, M., Hofer, H., & Wachter, B. (2020). Communication hubs of an asocial cat are the source of a human–carnivore conflict and key to its solution. Proceedings of the National Academy of Sciences, 117(52), 33325-33333.