Wildschweine im urbanen Raum

Wildschweine haben bereits in vielen europäischen Städten stabile Populationen etabliert. Zur Vermeidung von Mensch-Wildtierkonflikten ist ein effektives und effizientes Populationsmanagement erforderlich. Für dessen Implementierung muss geklärt werden, ob diese Stadt-Populationen selbsterhaltend sind oder von ständiger Einwanderung von Tieren aus umliegenden Gebieten abhängen (Quelle-Senke-Dynamik). Dies untersuchen wir in zwei europäischen Städten, namentlich in Berlin und mit unserem Kooperationspartner Wildlife Ecology & Health in Barcelona.

Stadtrand von Barcelona: Narkotisierung eines Wildschweins zum Anbringen eines GPS-Sender-Halsbands. Das Narkosemittel wird mittels eines Blasrohrpfeils verabreicht. (© Foto: WE&H – Wildlife Ecology & Health)

Projektdetails
Laufzeit: 2018 - unbestimmt (Langzeit geplant)
Drittmittelfinanziert: Drittmittel-Cofinanziert
Beteiligte Abteilung(en): Abt. Evolutionsgenetik, Abt. Ökologische Dynamik
Projektleitung im Leibniz-IZW: Jörns Fickel, Stephanie Kramer-Schadt
Projektbeteiligte im Leibniz-IZW: Anke Schmidt (Abt. Evolutionsgenetik), Jörns Fickel (Abt. Evolutionsgenetik),
Justus Hagemann (ehem. Abt. Evolutionsgenetik, jetzt Uni Potsdam),
Stephanie Kramer-Schadt (Abt. Ökologische Dynamik)
Konsortialpartner: Jorge Ramón Lopez Olvera (Universidad Autónoma de Barcelona, WE&H – Wildlife Ecology & Health)
Aktuelle Förderorganisation: keine
Forschungsschwerpunkte:
Bestimmung der Struktur von Populationen in Berlin und Barcelona,
Bestimmung von Migrationsrouten,
Hybridisierungen

 

Die Zersiedelung der Landschaft hat dazu geführt, dass neben vielen kleinen auch große Säugetierarten in städtische Siedlungsräume eingewandert sind, was zu einer Zunahme von Mensch-Wildtier-Konflikten geführt hat. Unter den ersten dieser großen Säugetierarten war auch das Wildschwein (Sus scrofa), das sich bereits in vielen europäischen Städten erfolgreich etabliert hat. Trotz dieser Tatsache gibt es überraschend wenige Erkenntnisse über Besiedlungsprozesse, Ausbreitungsmuster oder die Vernetzung zwischen städtischen Populationen untereinander sowie zwischen städtischen und ländlichen Populationen, was die Erarbeitung wirksamer Populationsmanagementpläne erschwert. Um diese fehlenden Erkenntnisse zu gewinnen, arbeiten wir in einem internationalen Koopera­tionsprojekt daran, städtische Wildschweinpopulationen in Berlin und Barcelona genetisch zu untersuchen und mit gleichfalls untersuchten Populationen zu vergleichen, die aus den jeweiligen umgebenden ländlichen Räumen stammen. Dies geschieht durch Genotypisierung der Wildschweine an genetischen Markern, wobei in jeder Stadt ~400 Wildschweine untersucht werden. Mit Hilfe genetischer Gruppierungsalgorithmen analysieren wir die Wildschweinpopulationen auf das Vorhandensein einer genetischen Struktur, die es uns erlauben würde, Rückschlüsse auf die Besiedlungsabläufe beider Städte durch Wildschweine zu ziehen (auf der Suche nach stadtspezifischen und/oder allgemeinen Aspekten in den Besiedlungsprozessen). Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Besiedlung Berlins und Barcelonas durch Wildschweine relativ ähnlich ablief. Ob dies für alle größeren Städte verallgemeinert werden kann, bleibt abzuwarten.

In beiden Städten lassen sich städtische Wildschweine genetisch klar von ländlichen Artgenossen unterscheiden, da jede Gruppe (städtisch, ländlich) eine eigene genotypische Gruppierung bildet, die als Cluster bezeichnet wird. Eine derartig strukturierte Metapopulation ermöglicht die genotypische Zuordnung von Tieren unbekannter Herkunft zu jeweils einem der beiden Cluster, womit sich Wanderrichtungen von Tieren ermitteln lassen. Außerdem lassen sich durch die Identifizierung von Mischlingen und deren Anzahl sowohl die Stärke als auch die Richtung der Genflüsse zwischen ländlichen und städtischen Populationen messen.

Unsere Ergebnisse dürften unmittelbare Auswirkungen auf die Managementstrategien für städtische Wildschweinpopulationen in Berlin und Barcelona haben, da sie zeigen, dass es nicht nur eine ausgeprägte genetische Differenzierung zwischen städtischen und ländlichen Wildschweinpopulationen gibt, sondern auch eine anhaltende Quelle-Senke-Dynamik zwischen städtischen und den umgebenden Gebieten (stärker ausgeprägt in Berlin, etwas schwächer in Barcelona). Daher ist es wichtig, dass Städte und deren Nachbargemeinden gemeinsame Managementpläne entwickeln, um die Wildschwein­population effektiv und effizient zu kontrollieren und Konflikte in städtischen Gebieten zu reduzieren und langfristig zu vermeiden.


Nachdem das Tier in Narkose liegt, wird das GPS-Sender-Halsband angebracht. (© Foto: Abteilung "Ökologische Dynamik" )

Ausgewählte Publikationen

Stillfried M, Fickel J, Börner K, Wittstatt U, Heddergott M, Ortmann S, Kramer-Schadt S, Frantz AC (2017). Do cities represent sources, sinks or isolated islands for urban wild boar population structure? Journal of Applied Ecology 54: 272-281.

Hagemann J, Conejero C, Stillfried M, Mentaberre G, Castillo-Contreras R, Fickel J, López-Olvera JR (2022). Genetic population structure defines wild boar as an urban exploiter species in Barcelona, Spain. Science of the Total Environment 833: 155126.