Konflikt um die Lufthoheit: Onshore-Windkraftanlagen schränken migrierende Fledermäuse in ihrem Lebensraum ein

Küstennahe Windenergieanlagen (Foto: Unsplash/Waldemar Brandt)
Küstennahe Windenergieanlagen (Foto: Unsplash/Waldemar Brandt)

Viele Fledermausarten migrieren jahreszeitlich über weite Strecken durch Europa und nutzen dabei die Küsten der Nord- und Ostsee als Korridore. Küsten sind auch geeignete Standorte für Windkraftanlagen, an denen Fledermäuse zu Tode kommen können. Eine Untersuchung des Raumnutzungsverhaltens von Großen Abendseglern in diesen Küstenregionen unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) zeigt nun, dass Windkraftanlagen im Küstenbereich den Lebensraum der Fledermäuse einschränken. Daher sollten bei der Ausweisung von Windeignungsgebieten verbliebene Refugien geschützt und neue Anlagen nicht in der Nähe von Jagdlebensräumen und Tagesquartieren aufgestellt werden, schlussfolgern die Wissenschaftler:innen in dem Aufsatz im „Journal of Environmental Management“. Der Ausbau der Windkraft in Deutschland könnte sonst nicht nur für heimische Tiere, sondern auch für migrierende Fledermäuse aus Nordosteuropa nachteilige Konsequenzen haben.

Viele Fledermäuse sind echte Europäer: Sie wandern im Rhythmus der Jahreszeiten von ihren Sommerlebensräumen in Nordosteuropa, in denen sie sich fortpflanzen, zu ihren Überwinterungsgebieten in den Beneluxstaaten, Frankreich und Nordspanien. Dabei legen sie bis zu 2.000 Kilometer zurück und lassen sich vermutlich durch günstige Winde tragen. Diese Winde, welche besonders stark und stet an der Küste wehen, sind auch besonders gut zur Erzeugung von Strom aus Windkraft geeignet. In einer Analyse der Raumnutzung untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung des Leibniz-IZW nun, in welcher Weise Große Abendsegler (Nyctalus noctula) mit Windenergieanlagen (WEA) an Küstenstandorten interagieren. Da migrierende Fledermäuse einerseits streng geschützt sind, andererseits aber besonders häufig an WEA in Deutschland verunglücken, ist es wichtig zu wissen, wie Fledermäuse in einem solchen Ballungsgebiet der Windenergieproduktion geschützt werden können, sodass neben den Interessen des Klimaschutzes auch die Interessen des Artenschutzes berücksichtigt werden.

Das Team um PD Dr. Christian Voigt und Dr. Christine Reusch analysierte die Bewegungsdaten von 11 Großen Abendseglern, die sie in einem küstennahen Waldgebiet einfingen und mit miniaturisierten GPS-Einheiten ausstatteten. Die Mini-Sender fallen nach einigen Tagen von alleine von den Flattertieren ab. Die Auswertung zeigte, dass die Mehrzahl der Tiere die WEA auf eine Distanz von mehreren Kilometern mieden. „Einerseits ist das eine gute Nachricht, denn dies verhindert, dass sie an den Anlagen zu Tode kommen“, sagt Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW. „Anderseits bedeutet dies auch, dass sie einen Großteil ihrer Lebensräume durch den Betrieb der WEA verlieren. Bei einem ungebremsten weiteren Ausbau der Windenergieproduktion entlang der Küsten könnte es für diese Nomaden der Lüfte kritisch werden.“

Die Bewegungsrouten der Fledermäuse zeigten, dass sich einige Tiere den WEA näherten. Dies geschah besonders häufig, wenn die WEA in der Nähe eines Fledermaus-Tagesquartiers, eines Bauernhofs oder eines Gewässers standen. Gerade Bauernhöfe außerhalb von Ortschaften und Gewässer schienen sie an WEA anzulocken, vermutlich wegen der vielen Insekten, die sie dort jagen konnten. Große WEA wurden von den Fledermäusen deutlich häufiger angeflogen als kleine WEA, dies könnte aber ein spezieller Effekt der darunter liegenden Landschaftsstruktur und der Lage der Windturbinen zu den Tagesquartieren und Jagdgebieten sein. Die vergleichsweise höhere Aktivität an großen WEA könnte den Tieren jedoch zum Verhängnis werden, denn der angestrebte Ausbau der Windenergieproduktion soll vor allem über große WEA mit einer höheren Energieleistung erfolgen.

„Unsere Empfehlung für den Küstenbereich ist insgesamt, WEA nur in ausreichendem Abstand zu Quartieren und zu Jagdlebensräumen zu bauen“, erklärt Christine Reusch, die das über die Deutsche Bundesstiftung Umwelt geförderte Projekt als Postdoc durchführte. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die wertvolle Ressource ‚Luftraum‘ sowohl für die Windenergieproduktion als auch für den Artenschutz nutzen können. In einem derartig wichtigen Migrationsgebiet, wie es die norddeutsche Küste sowohl für Vögel als auch für Fledermäuse ist, muss der Ausbau der Windenergieproduktion besonders behutsam erfolgen. Die Dichte der Anlagen sollte nicht zu hoch bemessen werden, um noch Platz für die Migration der Fledermäuse und anderer Tiere zu lassen.“

Deutschland spielt aufgrund seiner zentralen geografischen Lage in Europa eine wichtige Rolle beim Schutz migrierender als auch residenter Fledermausarten. Diese sind nach nationalem und EU-Recht streng geschützt. Außerdem hat sich Deutschland als Unterzeichner der relevanten UN-Konvention dem Schutz migrierender Tiere verpflichtet. Der Ausbau der Windenergieproduktion entlang der Küsten könnte zu weiteren beträchtlichen Lebensraumverlusten für migrierende Fledermäuse führen und dadurch deren Wanderung behindern. Bislang wird der weiträumige Lebensraumverlust beim Bau von WEA im Offenland nicht bewertet oder gar kompensiert. Um der bestehenden Gesetzgebung zu folgen, müsste dieser Lebensraumverlust eigentlich in die Genehmigungsverfahren und Planung von Windeignungsgebieten einbezogen werden, so das Fazit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Dass Fledermäuse wie auch Vögel an Windkraftanlagen in nennenswerter Anzahl zu Tode kommen, stelle ein Hemmnis beim Ausbau der Windenergieproduktion dar; Biodiversitätsschutz und Klimaschutz seien jedoch gleichrangige Ziele, die gemeinsam bedacht und umgesetzt werden müssen.

Publikation

Reusch C, Lozar M, Kramer-Schadt S, Voigt CC (2022). Coastal onshore wind turbines lead to habitat loss for bats in Northern Germany. Journal of Environmental Management. DOI: 10.1016/j.jenvman.2022.114715

Kontakt

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin, Deutschland

PD Dr. Christian Voigt
Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
Telefon: +49(0)30 5168 511
E-Mail: voigt@izw-berlin.de

Jan Zwilling
Wissenschaftskommunikation
Telefon: +49(0)30 5168121
E-Mail: zwilling@izw-berlin.de

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