GAIA-Initiative: Künstliche Intelligenz und Satellitenkommunikation für Wildtierforschung und Artenschutz
Die GAIA-Initiative ist ein Zusammenschluss aus Forschungsinstituten, Naturschutzorganisationen und Unternehmen mit dem Ziel, ein High-Tech-Frühwarnsystem für Umweltveränderungen und kritische ökologische Ereignisse zu entwickeln. In mehreren Projekten erforschen die Kooperationspartner die Biologie und Ökologie ausgewählter Tierarten und die Funktionsweise von Ökosystemen, in denen sie leben. Darüber hinaus entwickeln eine neue Generation von Tiersendern, die Tierverhalten in Echtzeit erkennen und übermitteln. Die Sender sind Kernkomponenten eines weltumspannenden Netzwerks aus tierischer, menschlicher und künstlicher Intelligenz.
Laufzeit: | seit 01/2022 |
Drittmittelfinanziert: | ja |
Beteiligte Abteilung(en): | Abt. Evolutionäre Ökologie |
Projektleitung im Leibniz-IZW: | Ortwin Aschenborn, Jörg Melzheimer (alle: Abt. Evolutionäre Ökologie) |
Projektbeteiligte im Leibniz-IZW: | Douglas Branch, Alexander von Canal, Teja Curk, Ekaterina Kovtun, Rubén Portas, Wanja Rast (alle: Abt. Evolutionäre Ökologie), Jan Zwilling (Wissenschaftsmanagement) |
Konsortialpartner: | Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS |
Aktuelle Förderorganisation: | Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Zoo Berlin |
Forschungsschwerpunkte: |
Verständnis von Merkmalen und evolutionären Anpassungen |
Verständnis von Herausforderungen für Wildtiere | |
Verbesserung der Lebensfähigkeit von Wildtierpopulationen | |
Entwicklung neuer Theorien, Methoden und Werkzeuge |
Durch das Wirken des Menschen ist die Artenvielfalt in und die Funktionsweise von Ökosystemen überall auf der Welt akut gefährdet. Auf der einen Seite stellt ein rapide beschleunigter Umweltwandel Artengemeinschaften vor erhebliche Herausforderungen, etwa durch Biodiversitätsverlust oder klimatische Veränderungen; auf der anderen Seite bedrohen einzelne menschliche Aktivitäten, etwa Umweltkriminalität oder Effekte von Mensch-Wildtier-Konflikten, die Bestände bestimmter Arten direkt. Beiden Prozessen ist gemein, dass sie in punkto Geschwindigkeit und Intensität natürliche Veränderungen von Ökosystemen erheblich übertreffen – dass betroffene Arten also kaum evolutionäre entwickelte Kompetenzen aufweisen, auf diesen Wandel zu reagieren und sich an neue Bedingungen anzupassen. Zudem stellt der rapide beschleunigte Umweltwandel auch die Umwelt- und speziell die Wildtierforschung sowie den Umwelt- und Artenschutz vor neue Herausforderungen: Es ist von hoher Dringlichkeit, die sich verändernde Umwelt sowie direkte und indirekte Risikofaktoren für Wildtiere erheblich schneller und gründlicher zu erfassen und zu verstehen, um effektive, wissenschaftsbasierte Artenschutzmaßnahmen entwickeln und umsetzen zu können.
Die Biodiversitätskrise korreliert mit technologischen Sprüngen und Wohlstandsgewinnen in den vergangenen 100 bis 150 Jahren, doch GAIA sieht in den neuen wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten auch einen Schlüssel für die enormen Herausforderungen. High-Tech bietet jene Chance, Prozesse des Umweltwandels und kritische Ereignisse in Ökosystemen schnell und gründlich zu erfassen, zu analysieren und effektive Gegenmaßnahmen zu entwickeln und direkt umzusetzen. Um dies zu erreichen, bündelt GAIA die Expertise aus drei Domänen:
- aus der Wildtierforschung für den Artenschutz, die auf jahrzehntelange Erfahrung in der Erforschung von Geparden und anderen Raubtieren und ihren Lebensräumen sowie aus der veterinärmedizinischen Praxis und Forschung im südlichen Afrika beruht;
- aus der Entwicklung und Nutzung von Hochtechnologie-Anwendungen wie Mikroelektronik, Kameratechnik, Künstliche Intelligenz und Satelliten-Kommunikation sowie dessen Anwendung für GPS-Ortung und Monitoring oder tiergestützte Fernerkundung;
- sowie aus der Zusammenarbeit mit Organisationen im Umwelt- und Wildtiermanagement sowie aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und anderen Stakeholdern, um die unmittelbare Umsetzung von gewonnen Erkenntnissen und entwickelter Technik in die Praxis zu gewährleisten.
Diese Allianz aus exzellenter Forschung, innovativer Entwicklung und wirksamer Anwendung macht sich die herausragenden Sinnesleistungen und evolutionäre Intelligenz von bestimmten Tierarten zu Nutze und bildet ein weltumspannenden Netzwerks aus tierischer, menschlicher und künstlicher Intelligenz – des „I³nternet of Life“. In der ersten Projektphase bildet GAIA eine Allianz mit verschiedenen Geier-Arten, die als „sentinel species“ herausragende sensorische Fähigkeiten und evolutionäre Intelligenz aufweisen. Sie erkennen wichtige Symptome des Umweltwandels und kritischer Ereignisse in ihren Lebensräumen – in Form von Kadavern verendeter oder getöteter Tiere – schnell und zuverlässig. GAIAs Forschung und Entwicklung zielt darauf, gewissermaßen durch die Augen der Geier in die Ökosysteme zu schauen, ihre Intelligenz zu nutzen und für den Menschen mit Hilfe von KI lesbar zu machen.
Wildtierbiologische Fragestellungen und Methoden
Um Veränderungen in Wildtierbeständen und Ökosystemen zu erkennen und zu verstehen und um passgenaue technische Lösungen wie die neue Generation von Tiersendern zu entwickeln, forscht das GAIA-Team zu wildtierbiologischen und -ökologischen Fragestellungen und entwickelt methodische und konzeptionelle Ansätze dieser Disziplinen weiter:
Die übergreifende Mission von GAIA ist es, komplexe Wechselwirkungen in Ökosystemen so weit zu verstehen, dass Veränderungen oder kritische Ereignisse in diesen Ökosystemen durch das Monitoring einiger weniger Schlüsselarten, -funktionen oder -prozesse vorhergesagt oder frühzeitig erkannt werden können. Das fortgeschrittene Monitoring umfasst die Entwicklung von Instrumenten, die es ermöglichen, sich in das Netz des Lebens zu „hacken“ und die Schlüsselprozesse so gut zu verstehen, dass die Überwachungsdaten sinnvoll genutzt werden können. Einer dieser Schlüsselprozesse, die GAIA für Savannen-Ökosysteme identifiziert hat, sind die innerartliche und artübergreifende Kommunikation und Interaktion bei Raubtieren – Löwen – und bei Aasfressern – Geiern. Im Rahmen des GAIA-Forschungsprogramms untersucht der Doktorand Douglas Branch die innerartliche Kommunikation von Löwen mit Hilfe von Sensoren, die von Tieren getragen werden, und künstlicher Intelligenz, um die evolutionäre Funktion der Langstreckenkommunikation von Löwen zu verstehen.
Geier sind eine hochintelligente Gruppe von Vögeln, die wichtige Ökosystemleistungen erbringen. Damit sind sie eine besonders geeignete Gruppe für Indikator- und Wächtertierarten. Dennoch sind die Populationen der Altweltgeier in den letzten Jahrzehnten aufgrund anthropogener Faktoren drastisch zurückgegangen. Gleichzeitig ist ihr Verhalten, einschließlich der sozialen Interaktionen, noch immer nicht ausreichend erforscht. Auf der Grundlage von Hightech-Ortungsgeräten und KI-basierten Analysewerkzeugen zielt GAIA darauf ab, besser zu verstehen, wie Geier kommunizieren, interagieren und kooperieren, nach Nahrung suchen, brüten und ihre Jungen aufziehen. Dieses Verständnis ist entscheidend für die Entwicklung des GAIA-Frühwarnsystems für Umweltveränderungen und kritische ökologische Ereignisse sowie für den Schutz und die Erhaltung der Geier.
Entwicklungen an der Schnittstelle von Hochtechnologie und Wildtierforschung
Für die Wildtierforschung und die Anwendung für Natur- und Artenschutz setzt GAIA nicht nur auf bestehende Technik, sondern entwickelt maßgeblich neue Technologien in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Sender-Hardware und -Software und Satellitenkommunikation, um die Grenze des technisch Möglichen – etwa für die tiergestützte Fernerkundung – zu verschieben.
Um das Ziel der GAIA-Initiative zu erreichen, ein Hightech-Frühwarnsystem für Umweltveränderungen zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen, ist eine neue Generation von Tiersendern ein wichtiger Baustein. Teams am Fraunhofer IIS arbeiten an der Hard- und Softwareentwicklung von miniaturisierten Tiersendern mit Niedrigstleistungssensorik mit Kamera und Bildverarbeitung. Die Sender werden energieautark sein, optimal an die Anatomie von Geiern angepasst und sind die Basis für weitere in der Entwicklung befindliche technologische Features wie on-board künstliche Intelligenzen zur Verhaltensdetektion und Bilderkennung sowie ein satellitengestütztes IoT-Kommunikationssystem.
Ausgewählte Publikationen
Radchuk V, de Leander F, Sarmento Cabral J, Boulangeat I, Crwaford M, Bohn F, de Raedt J, Scherer C, Svenning JC, Thonicke K, Schurr FM, Grimm V, Kramer-Schadt S (2019): The dimensionality of stability depends on disturbance type. ECOL LETT 22, 674-684. doi:10.1111/ele.13226.
Radchuk V, Reed T, Teplitsky C, van de Pol M, Charmantier A, Hassall C, Adamík P, Adriaesen F, Ahola MP, Arcese P, Avilés JM, Balbontin J, Berg KS, Borras A, Burthe S, Clobert J, Dehnhard N, de Lope F, Dhondt AA, Dingemanse NJ, Doi H, Eeva T, Fickel J, Filella I, Fossøy F, Goodenough AE, Hall SJG, Hansson B, Harris M, Hasselquist D, Hickler T, Joshi J, Kharouba H, Martínez JG, Mihoub J-B, Mills JA, Molina-Morales M, Moksnes A, Ozgul A, Parejo D, Pilard P, Poisbleau M, Rousset F, Rödel MO, Scott D, Senar JC, Stefanescu C, Stokke BG, Kusano T, Tarka M, Tarwater CE, Thonicke K, Thorley J, Wilting A, Tryjanowski P, Merilä J, Sheldon BC, Møller AP, Matthysen E, Janzen F, Dobson FS, Visser ME, Beissinger SR, Courtiol A*, Kramer-Schadt S* (2019): Adaptive responses of animals to climate change are not universal and are likely insufficient. NAT COMMUN 10, 3109. doi:10.1038/s41467-019-10924-4.