Alte DNA bietet neue Einblicke in die Höhlenmalerei
Die heute in dem hochrangigen Wissenschaftsfachblatt PNAS veröffentlichte Studie von einem internationalen Forscherteam, geleitet von Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Zoo und Wildtierforschung, ist der erste Beweis für gescheckte oder gesprenkelte Wildpferde. Archäologen diskutieren schon seit langer Zeit darüber, ob die Kunstwerke der Altsteinzeit, vor allem die Höhlenmalerei, Reflexionen der natürlichen Umwelt sind oder tiefere abstrakte, symbolische oder religiöse Bedeutungen haben. Dies gilt vor allem für das weltberühmte Höhlengemälde der „Gepunkteten Pferde“ von Pech-Merle in Frankreich, welches vor ca. 25.000 Jahren geschaffen wurde und deutlich weiße Pferde mit dunklen Flecken zeigt. Diese gemalten Pferde sind den heute als Tigerschecken bekannten modernen Pferden nicht unähnlich. Bisher glaubten viele Forscher, dass in der prähistorischen Zeit eine gefleckte Fellfarbe bei Pferden unwahrscheinlich war und interpretierten die gefleckten Pferde in Pech-Merle nicht als Abbild der Wirklichkeit sondern sahen darin eine symbolische Repräsentation im Sinne abstrakter Kunst.
Forscher aus Deutschland, England, USA, Spanien, Russland und Mexiko analysierten nun die Farbvariabilität von 31 prädomestizierten Pferden, deren Überreste bis zu 35.000 Jahre alt sind. Die untersuchte DNA wurde aus Knochen und Zähnen gewonnen. Die Fundstücke stammen von 15 verschiedenen Standorten aus Sibirien, Ost- und Westeuropa und der Iberischen Halbinsel. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass vier Proben aus dem Pleistozän und zwei aus der Kupferzeit aus West- und Osteuropa die Genvariante hatten, die für die Tigerscheckung verantwortlich ist. Das ist der erste echte Beweis dafür, dass es Pferde in dieser Zeit mit einer gescheckten Fellfärbung gab. Darüber hinaus besaßen 18 Pferde eine braune Fellfarbe und sieben waren schwarz. Also existierten alle Farben, die in Höhlenbilder vorkommen - braun, schwarz und gescheckt – auch in prädomestizierten Pferdepopulationen.
Prof. Michi Hofreiter von der University of York (Großbritannien) sagt: "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass zumindest für Wildpferde die Höhlenmalereien aus der Altsteinzeit, unter anderem die bemerkenswerten Darstellungen der „Gepunkteten Pferde“, die Wirklichkeit in der entsprechenden Zeit eins zu eins dokumentieren. Während frühere DNA Studien nur Hinweise auf braun und schwarz gefärbte Pferde offenlegten, zeigt unsere Studie eindeutig, dass der Tigerschecken-Komplex, mehrere durch dasselbe Gen hervorgerufene Scheckungsmuster beim Pferd, schon bei prädomestizierten Pferden vorkam und dass die Menschen in dieser Zeit vor fast 25.000 Jahren dieses in Höhlenzeichnungen dokumentierten. Unsere Ergebnisse stützen die Vorstellung, dass die Höhlenmalerei ein Abbild der natürlichen Umwelt des Menschen ist und weniger einen symbolischen oder transzendentalen Hintergrund hat, wie oft vermutet wird."
Die Arbeiten zu dieser Studie fanden unter der Leitung von Dr. Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin statt. Die Laborarbeiten wurden von Dr. Melanie Pruvost durchgeführt. Sie ist Wissenschaftlerin am IZW in der Forschungsgruppe Evolutionäre Genetik und am Deutschen Archäologischen Institut aus Berlin. Die Ergebnisse der Studie wurden in den Laboren der University of York repliziert. Dr. Pruvost sagt: "Erst jetzt stehen uns erste genetische Werkzeuge zur Verfügung, um das Aussehen von Tierarten aus der Vergangenheit zu bestimmen. Es gibt noch jede Menge Fragezeichen zu Erscheinungsbildern, die mit den heutigen genetischen Methoden noch nicht analysierbar sind. Dennoch können wir schon jetzt sehen, dass diese Art von Studien uns ein deutlich besseres Verständnis der Vergangenheit liefert. Das Wissen um das Vorkommen von Tigerschecken bei Pferden während des Pleistozäns liefert neue Erkenntnisse und Einsichten für die Archäologen, um die Höhlenkunst zu interpretieren." Dr. Arne Ludwig fügt hinzu: "Höhlenbilder von Pferden sind in ihrer Ausführung oft sehr rudimentär, aber einige detaillierte Darstellungen aus Westeuropa und dem Ural sind dennoch realistisch genug, um erkennen zu lassen, dass es sich bei den Darstellungen um lebendige Tiere handelt. Die Muster und Farben der Höhlenzeichnungen entsprechen unseren genetischen Untersuchungsergebnissen."
Die genaue Anzahl altsteinzeitlicher Standorte mit Tierdarstellungen ist wegen der anhaltenden Debatte über die Identifizierung der Tierarten auf einigen Bildern und deren eindeutige Datierung ungewiss. Bisher wurden mindestens 40 Standorte aus der Altsteinzeit in Südwestfrankreich im Gebiet von Dordogne-Périgord identifiziert, eine ähnlich große Anzahl in den Küstengebieten von Kantabrien in Nordspanien und rund ein Dutzend Standorte in den südfranzösischen Gebieten der Ardèche und von Ariège am Fuße der Pyrenäen. Dort, wo Tierabbildungen am sichersten bestimmt werden konnten, gab es meistens auch Abbildungen von Pferden. Prof. Terry O'Connor, Archäologe an der University of York, ist an der Interpretation der Ergebnisse beteiligt. Er sagt: "Darstellungen von Tieren aus der Altsteinzeit haben das Potenzial, um aus erster Hand Einblicke in die physische Umwelt der Menschen zu erhalten, die vor Tausendenden von Jahren gelebt haben. Allerdings wird die Motivation hinter den Zeichnungen, und damit der Grad an Realismus der Darstellungen heiß diskutiert. Beispielsweise haben die Darstellungen der Pferde aus Pech-Merle für viele Debatten gesorgt. Unsere Ergebnisse zeigen jetzt, dass sich ein Abbild der Wirklichkeit hinter den Zeichnungen verbirgt. Unsere Vorfahren haben das gemalt, was sie gesehen haben. Das gibt uns ein tieferes Verständnis bei der Interpretation von anderen Tierzeichnungen aus der Zeit des Pleistozän.“
In modernen Pferden findet man die Tigerscheckung in Variationen von einigen wenigen weißen Flecken bis hin zum völligen Weiß. Die weißen Bereiche dieser Pferde können auch pigmentierte ovale Flecken aufweisen, bekannt als Tigerschecken. Dr. Monika Reißmann von der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin erklärt: "Dieser Phänotyp war im Zeitalter des Barock sehr gefragt. Danach sind Pferde mit Tigerschecken aus der Mode gekommen und wurden sehr selten. Heutzutage sind Tigerschecken wieder ein beliebtes Erscheinungsbild, das bei mehreren Pferderassen wie beim Knabstrupper, Appaloosa und den Norikern wieder gezüchtet wird."
Die Tatsache, dass vier von zehn Proben der westeuropäischen Pferde aus dem Pleistozän den Genotyp besitzen, der für das Erscheinungsbild der Tigerschecken verantwortlich ist, lässt vermuten, dass dieser Typ keineswegs selten im damaligen Westeuropa vorkam. Die am häufigsten vorkommende Fellfarbe bei Pferden vor der Domestikation war wohl braun – in 18 von 31 Proben ließ sich genetisch die Fellfarbe braun nachweisen. Dies ist auch der am häufigsten gemalte Phänotyp bei Pferdezeichnungen aus dem Zeitalter der Altsteinzeit.
Kontakt:
PD Dr. Arne Ludwig; ludwig@izw-berlin.de
Steven Seet; seet@izw-berlin.de; 0049 (0)177 857 26 73
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.