Gewohnheitstier trifft Multikulti – Was eine Langzeitstudie über das Wanderverhalten von Fledermäusen verrät
Jedes Jahr unternehmen Billionen Tiere jahreszeitliche Wanderungen. Ähnlich wie Vögel wandern einige Fledermausarten über mehrere Tausend Kilometer – im Schutz der Dunkelheit von Menschen nahezu unbemerkt und nur teilweise erforscht. Eine Rekonstruktion individueller Migrationsbewegungen des Großen Abendseglers (Nyctalus noctula) in Mitteleuropa zeigte nun, dass Weibchen weitere Strecken zurücklegen als Männchen. Zudem sind die Distanzen der Wanderungen sehr variabel, wodurch sich Populationen, die während der Aufzucht von Jungtieren im Sommer räumlich voneinander getrennt sind, in den Winterquartieren stark mischen. Einmal gewählt, weichen Individuen jedoch selten von ihrem gewohnten Wanderungsverhalten ab, was im Kontext rasch verändernder Lebensräume nachteilig sein könnte. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society: Biological Sciences“ erschienen.
Das internationale Wissenschaftlerteam unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) nutzte das Verhältnis von stabilen Wasserstoffisotopen in kleinsten Fellproben von Fledermäusen, um deren Herkunftsregion zu bestimmen. Auf diese Weise war es ihnen möglich, über mehrere Jahre von über 1.000 Exemplaren des Großen Abendseglers, die in sieben mitteleuropäischen Überwinterungsgebieten angetroffen wurden, zu ermitteln, aus welchen Sommerlebensräumen sie stammten. Die Daten zeigen, dass die Tiere eines Winterquartiers ein sehr unterschiedliches Wanderverhalten aufzeigen können: Die meisten Fledermäuse hielten sich zwar sowohl im Sommer als auch im Winter in derselben Region auf, in jedem Quartier fand sich jedoch auch ein nennenswerter Anteil von Fledermäusen, die weitere Strecken zurückgelegt hatten.
„Wir konnten damit nachweisen, dass Tiere derselben Überwinterungsgruppe unterschiedliches Migrationsverhalten zeigen“, sagt Christian Voigt vom Leibniz-IZW. „In mitteleuropäischen Winterquartieren durchmischen sich Große Abendsegler aus unterschiedlichen Sommerlebensräumen, wie zum Beispiel Polen, Russland, Baltikum sowie Skandinavien und Deutschland, und verbringen dann den Winter friedfertig im sozialen Winterschlaf.“
Weiterhin zeigten die Analysen der WissenschaftlerInnen, dass insbesondere weibliche Fledermäuse längere Strecken zurücklegten. Tendenziell kamen weibliche Große Abendsegler eher aus nördlichen Breiten als männliche Artgenossen. Ein Abgleich mit morphologischen Daten zeigte, dass weiblichen Tieren aus den weiten Reisen kein Nachteil entstehen. „Wir haben aus Daten über Gewicht und Flügellänge einen Koeffizienten für die körperliche Verfassung errechnet und konnten zeigen, dass Männchen in besserer körperlicher Verfassung sind, wenn sie nur regional aktiv sind, während bei den Weibchen die weit wandernden in besserer Verfassung sind“, so Linn Lehnert, die Erstautorin der Studie. „Wir vermuten einen Zusammenhang mit dem erheblich besseren Nahrungsangebot für die insektenfressenden Tiere im Sommer in nördlichen Breiten. Für Weibchen mit erhöhtem Energiebedarf durch Trächtigkeit und Stillzeit lohnt sich dann der lange Weg.“ Männchen hingegen wandern in erster Linie in jungen Jahren und neigen später zu einem eher regionalen Lebensstil.
Nicht zuletzt konnte die Studie Herkunftsdaten von 79 Fledermäusen auswerten, welche die ForscherInnen mehrfach in den Winterquartieren antrafen. Dabei fanden sie heraus, dass ein überwiegender Teil der Großen Abendsegler Gewohnheitstiere sind. 86% der Tiere zeigten dasselbe Wanderverhalten wie bei der ersten Erfassung. Diese festen Gewohnheiten könnten für die Tiere zum Problem werden, schließt das Forscherteam. Wenn sich Ökosysteme rasch änderten, was im Zuge von Erderhitzung und anderen menschlichen Eingriffen immer wahrscheinlicher wird, hätten Individuen mit geringer Flexibilität in ihrem Wanderverhalten Nachteile. Um dies für verschiedene Fledermausarten genau einschätzen zu können, sind jedoch weitere Untersuchungen nötig. „Was wir bereits jetzt ableiten können, ist wie wichtig lokale Winterquartiere des Großen Abendseglers für die gesamteuropäische Population des Großen Abendseglers sind“, schließt Lehnert. „Ein lokales aber auch international koordiniertes Vorgehen zum Schutz der Winterquartiere ist daher dringend nötig.“
Publikation
Lehnert LS et al. (2018) Variability and repeatability of noctule bat migration in Central Europe: evidence for partial and differential migration. Proc. R. Soc. B 20182174. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.2174
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Linn Sophie Lehnert
Doktorandin in der Abteilung Evolutionäre Ökologie
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung im Forschungsverbund Berlin e.V.
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