Herpesviren mit einem ungewöhnlich breiten Wirtsspektrum

Pferdeherpesvirus (EHV). Foto: Walid Azab
Pferdeherpesvirus (EHV). Foto: Walid Azab
Üblicherweise geht man davon aus, dass Herpesviren auf eine bestimmte Wirtsart oder eine Gruppe verwandter Tierarten spezialisiert sind. Aktuelle Forschungsergebnisse des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) widersprechen jedoch dieser Annahme. Sie zeigen, dass zwei Pferde-Herpesviren (Typ 1 und Typ 9) ein ungewöhnlich breites Wirtsspektrum entwickelt haben. Obwohl sie afrikanische Pflanzenfresser bevorzugen, können diese Viren weit mehr als nur ihre natürlichen Wirte infizieren.  Bei Eisbären und anderen entfernt verwandten Arten können diese Viren Todesfälle verursachen.  Interessanterweise nutzen Herpesviren vom Typ 9 (EHV-9) womöglich afrikanische Nashörner als natürliche Wirte oder als Reservoir. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht.
 
Pferde-Herpesviren vom Typ 1 (EHV-1) und EHV-9 sind mit Atemwegserkrankungen, Fehlgeburten, neurologischen Symptomen und Todesfällen bei Pferden und deren wilden Verwandten wie Zebras und Persischen Halbeseln assoziiert. Auch ungewöhnliche Wirte wie z. B. Eisbären können von diesen Viren infiziert werden. Obwohl Herpesviren als wirtsspezifisch gelten, verhalten sich EHV-1 und EHV-9 außergewöhnlich, da ihnen eine strikte Wirtsspezifität fehlt. Diese zwei Viren sind in der Lage, neben ihren natürlichen Wirten auch Arten, die nicht zu den Pferdeartigen gehören, zu infizieren. Für diese Arten hat der Befall schwerwiegende gesundheitliche Folgen. 
 
Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen eine starke Verbreitung von EHV-9-Antikörpern in gesunden afrikanischen Nashörnern. Dies lässt vermuten, dass sie empfänglich für EHV-9-Infektionen sind und als natürlicher und möglicherweise endgültiger Wirt oder als Reservoir dienen. Im Gegensatz dazu weisen Zebras eine geringe Häufigkeit von EHV-9-Antikörpern auf, haben jedoch ein sehr viel höheres EHV-1-Vorkommen, so wie es auch bei anderen Pferdeartigen, z. B. Hauspferden, der Fall ist. Interessanter Weise wurde bei freilebenden Zebras eine höhere Verbreitung von EHV-1 beobachtet, als bei im Zoo lebenden Zebras. Dies lässt vermuten, dass das Risiko einer Ansteckung mit EHV-Viren in Gefangenschaft sinkt.
 
Ein internationales Forscherteam des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), der Freien Universität Berlin, der Réserve Africaine de Sigean (Frankreich), des Bwabwata Ecological Institute (Namibia), des Zoos Basel (Schweiz), und der Fakultät für Veterinärmedizin der Kafrelsheikh University (Ägypten) untersuchte die „Seroprävalenz“ (ob und wie viele Antikörper jedes Tier gegen die Viren produziert) von EHV-1 und EHV-9 bei wilden und in Gefangenschaft lebenden Tieren. Hierfür verwendeten sie ein neuartiges, hochempfindliches und spezifisches „Immunassay“ (biochemisches Testverfahren). Mit diesem Verfahren wurden hunderte Proben von im Freiland und in menschlicher Obhut lebender Tiere analysiert, die von insgesamt 30 Arten aus 12 Familien und fünf Ordnungen stammten.
 
Die WissenschaftlerInnen nehmen an, dass die Viren EHV-1 und EHV-9 ein breites Wirtsspektrum für afrikanische Säugetiere entwickelt haben, einschließlich entfernt verwandter Unpaarhufer. Die Viren EHV-1 und EHV-9 besitzen demnach ein breites Wirtsspektrum mit Präferenz für afrikanische Pflanzenfresser und könnten in Ökosystemen, in denen freilebende Pferde vorkommen und in engem Kontakt mit anderen Tieren wie Zebras und Nashörnern leben, neue natürliche Wirte befallen haben. Einige fatale Fälle von EHV-Übertragungen zwischen verschiedenen Arten wurden kürzlich belegt und lassen vermuten, dass Zebras und andere Pferdeartige die Quelle dieser Infektion sein könnten. Weitere Studien sind notwendig, um die Rolle der Pferdeartigen in der EHV-Epidemiologie sowohl in Gefangenschaft als auch in der Wildnis zu ermitteln.
 
Publikation:
Abdelgawad A, Hermes R, Damiani A,Lamglait B, Czirják GÁ, East M, Aschenborn O, Wenker C, Kasem S, Osterrieder N, Greenwood AD (2015): Comprehensive serology based on a peptide ELISA to assess the prevalence of closely related equine herpesviruses in zoo and wild animals.
 
 
Kontakt:
Leibniz-Institut für Zoo und Wildtierforschung (IZW)
im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17
10315 Berlin
 
Abdelgawad Azza
Tel.: +49 30 5168-233
 
Prof. Alex D. Greenwood
Tel.: +49 30 5168-255
 
Steven Seet (Presse)
Tel.: +49 30 5168-125
 
 
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Hintergrundinformation:

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) ist eine national und international renommierte Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft. Mit den Forschungszielen „Anpassungsfähigkeit verstehen und verbessern“ untersucht es die evolutionären Anpassungen von Wildtierpopulationen und ihre Belastungen durch den globalen Wandel und entwickelt neue Konzepte und Maßnahmen für den Artenschutz. Dafür setzt es seine breite interdisziplinäre Kompetenz in Evolutionsökologie und –genetik, Wildtierkrankheiten, Reproduktionsbiologie und –management im engen Dialog mit Interessensgruppen und der Öffentlichkeit ein.

Das IZW gehört zum Forschungsverbund Berlin e.V.

 

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