Neuer Hundestaupevirus-Stamm verursachte fatale Epidemie bei Löwen und Tüpfelhyänen in der Serengeti
Das lang anhaltende Rätselraten darüber, warum ausgerechnet einer von mehreren Ausbrüchen des Hundestaupevirus (CDV) in den letzten 25 Jahren für die Löwen und Tüpfelhyänen in der Serengeti in Tansania verheerend war, ist jetzt gelöst. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) führte Genanalysen an Hundestaupe-Virenstämmen durch, die zwischen 1993 und 2012 von verschiedenen Raubtieren gewonnen wurden. Das Forscherteam fand heraus, dass die tödlichen Hundestaupe-Infektionen bei Löwen und Hyänen in den Jahren 1993 und 1994 durch einen neuartigen Virenstamm verursacht wurden. Dieser weist drei seltene Mutationen auf, die bei keinem anderen Hundestaupe-Virenstamm von Haushunden oder wild lebenden Hundeartigen aus der Serengeti nachgewiesen werden konnten. Das Forscherteam entdeckte, dass zwei dieser Mutationen die Fähigkeit des Virus erhöhen, Abwehrzellen von Löwen zu befallen.
Das Hundestaupevirus (CDV) ist eine hochansteckende Krankheit bei Raubtieren. Es wurde wahrscheinlich im frühen 20. Jahrhundert in Afrika eingeschleppt und trat spätestens in den 1960er Jahren in der Serengeti auf. In den Jahren 1993 und 1994 brach bei Löwen und Tüpfelhyänen im Serengeti Nationalpark im nordwestlichen Tansania eine unerwartet schwere und weit verbreitete Hundestaupe-Epidemie aus. Sie dezimierte die Löwenpopulation um etwa 30 % und tötete viele Jungtiere bei den Tüpfelhyänen. Der Ausbruch war für Wissenschaftler überraschend und erregte weltweit die Aufmerksamkeit der Medien. In den zwei Jahrzehnten nach der Epidemie gab es zwar noch durch Staupe bedingte Todesfälle bei wild lebenden Hundeartigen, jedoch wurden keine tödlichen Staupe-Infektionen bei Löwen und Tüpfelhyänen mehr beobachtet. Dabei wies in manchen Jahren der hohe Anteil von Tieren mit signifikanten Serum-Antikörpern gegen Hundestaupe bei Löwen und Hyänen auf zwei weitere, asymptomatische Ausbrüche hin, die ohne gesundheitliche Folgen blieben. Diese Beobachtungen waren rätselhaft. Warum war CDV während der Epidemie 1993/1994 für Löwen und Hyänen tödlich, aber in den folgenden Jahren nicht, während für Hundeartige das Virus auch in den beiden Jahrzehnten nach der Epidemie weiterhin tödlich war.
Mit Hilfe modernster Gensequenzierungstechniken untersuchten die Wissenschaftler verschiedene CDV-Virenstämme von Raubtieren, die zwischen 1993 und 2012 in der Serengeti gesammelt wurden. Dabei fanden die Forscher mehrere Virenstämme, die alle zu einer neuen CDV-Abstammungslinie gehören und die sie „East Africa“ nannten. Der Stamm, der bei Löwen und Hyänen während der Epidemie von 1993/1994 isoliert wurde, wies in zwei Virusproteinen seltene Mutationen auf. Zwei Mutationen traten im CDV-H Protein auf, das an den Wirtszellenrezeptor (SLAM CD 150 genannt) bindet und daher eine wichtige Rolle für den Eintritt des Virus in die Wirtszellen spielt. Die dritte Mutation betrifft das CDV-V Protein, das dem Virus erlaubt, die natürliche Immunreaktion des Wirts zu manipulieren, um sie zu unterdrücken. Die CDV-H Proteine von Löwen und Hyänen von 1993/1994 wiesen die seltene Aminosäuren-Kombination 519I/549H auf, die nur bei wenigen Stämmen nicht-Hundeartiger Wirte in der Abstammungslinie „America II“ bekannt ist. Währenddessen wiesen die Virenstämme bei Haushunden und wild lebenden Hundeartigen die üblichen Aminosäuren-Kombinationen auf, die bei CDV-Virenstämmen weltweit häufig vorkommen. Einzigartig ist, dass das CDV-V Protein aller Virenstämme bei Löwen und Hyänen während der Epidemie von 1993/1994 mit 134-S kodiert war, während dies bei den Hundeartigen nicht der Fall war. Durch detaillierte phylogenetische Analysen der Stämme verschiedener Viren, bei denen zum Teil ganze Genome verwendet wurden, entdeckten die Forscher, dass sich die Virenstämme von Löwen und Hyänen während der Epidemie von 1993/1994 sehr stark von den Virenstämmen bei Haushunden und wild lebenden Hundeartigen unterschieden. Darüber hinaus zeigen Laborexperimente, dass die Virenstämme mit der seltenen Aminosäuren-Kombination 519I/549H im CDV-H Protein deutlich besser in Zellen mit Rezeptoren von Löwen oder Hauskatzen eindringen können, als das bei Zellen mit Rezeptoren von Haushunden der Fall ist. „Diese Ergebnisse zeigen, dass ein Virenstamm, der in der Serengeti entstanden ist und sich besonders gut an nicht-Hundeartige Arten wie Löwen und Hyänen angepasst hat, die Epidemie von 1993/1994 auslöste und dann selbst ausstarb“, sagen Veljko Nikolin und Ximena Olarte-Castillo, beide Hauptautoren der Studie. Marion L East, die Leiterin des Forscherteams fügt hinzu: „Die Ergebnisse widerlegen die bisherige Annahme, dass die Epidemie von 1993/1994 durch eine hoch ansteckende, virulente Variante des Hundestaupevirus ausgelöst wurde, der von Haushunden auf Löwen und Hyänen im Serengeti Nationalpark übertragen wurde.“
Warum führten zwei weitere Epidemien bei Löwen und Hyänen zwischen 1999 und 2000 und zwischen 2006 und 2007 nur zu einer hohen Exposition mit dem Virus, nicht jedoch zum Krankheitsausbruch? Erstens starb anscheinend der gefährliche Virenstamm von 1993/1994 aus, der für Löwen und Hyänen tödlich war, da er seit 1999 nicht mehr im Ökosystem nachgewiesen werden konnte. Zweitens haben die Virenstämme, die nach 1999 noch vorhanden waren, eine oder zwei Aminosäurekombinationen im CDV-H Protein, die üblicherweise bei CDV-Stämmen weltweit beobachtet werden. Die Laborexperimente zeigten, dass die Aminosäurekombination im CDV-H Protein, die normalerweise in den Virenstämmen bei Haushunden (519R/549Y) zu finden ist, besonders gut in Zellen mit Rezeptoren von Haushunden eindringen können, aber sehr viel weniger effizient darin sind, in Zellen mit Rezeptoren von nicht-Hundeartigen einzudringen. Dadurch sind die Virenstämme von Haushunden weniger gut in der Lage, Löwen und Tüpfelhyänen zu infizieren, wenn diese solchen Stämmen ausgesetzt sind. „Unsere Studie zeigt, dass die Komplexität der Epidemiologie des Hundestaupevirus in Lebensräumen mit mehreren Wirten höher ist, als bisher angenommen“, schließt Marion East.
Publikation:
Nikolin VM, Olarte-Castillo XA, Osterrieder N, Hofer H, Dubovi E, Mazzoni CJ, Brunner E, Goller KV, Fyumagwa RD, Moehlman PD, Thierer D, East ML (2016) Canine distemper virus in the Serengeti ecosystem: molecular adaptation to different carnivore species. Molecular Ecology.
im Forschungsverbund Berlin e.V.
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GERMANY
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Hintergrundinformation:
Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) ist eine national und international renommierte Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft. Mit den Forschungszielen „Anpassungsfähigkeit verstehen und verbessern“ untersucht es die evolutionären Anpassungen von Wildtierpopulationen und ihre Belastungen durch den globalen Wandel und entwickelt neue Konzepte und Maßnahmen für den Artenschutz. Dafür setzt es seine breite interdisziplinäre Kompetenz in Evolutionsökologie und –genetik, Wildtierkrankheiten, Reproduktionsbiologie und –management im engen Dialog mit Interessensgruppen und der Öffentlichkeit ein.
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