Seeadler vermeiden große Geschosspartikel beim Verzehr von Kadavern

Ausgewachsener Seeadler (Haliaeetus albicilla) beim Verzehr eines Kadavers. Foto: Oliver Krone
Ausgewachsener Seeadler (Haliaeetus albicilla) beim Verzehr eines Kadavers. Foto: Oliver Krone

Seeadler detektieren und vermeiden aktiv die Aufnahme großer Metallpartikel (> 8 mm) aus Säugetierkadavern, ignorieren aber kleine Metallpartikel (3 mm) beim Verzehr. Beim Auftreffen auf den Tierkörper zersplittern bleihaltige Jagdprojektile in zahlreiche kleine Metallpartikel, während bleifreie Deformationsgeschosse keine Partikel im Körper hinterlassen und bleifreie Teilzerleger nur größere Partikel an das Gewebe abgeben. Daher könnte der Einsatz bleifreier Geschosse Bleivergiftungen von aasfressenden Tieren vermeiden. Zu diesem Ergebnis kamen kürzlich Wissenschaftler des Berliner Leibniz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Die Studie wurde nun in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „European Journal of Wildlife Research“ veröffentlicht.

In Versuchen mit Seeadlern (Haliaeetus albicilla) fanden die IZW-Forscher heraus, dass die Vögel größere Metallpartikel bei der Nahrungsaufnahme aus Kadavern selektiv aussortieren. Je größer die Partikel waren, desto häufiger wurden diese von den Vögeln detektiert und vermieden. Überraschender Weise nahmen die Tiere die Metallpartikel in der Nahrung niemals ausschließlich visuell wahr, wie man es bei Greifvögeln aufgrund ihres außergewöhnlichen Sehvermögens vermuten könnte. Vielmehr spürten sie die harten Metallteile vor allem durch Tasten mit der Schnabelspitze auf oder spuckten die Partikel wieder aus, nachdem sie diese im Schnabel bemerkt hatten. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Greifvögel sensible Tastrezeptoren an der Schnabelspitze und auch im Schnabel besitzen, wodurch sie in der Lage sind, die Aufnahme unverdaulicher Partikel zu vermeiden. 

Um die Bleiaufnahme aus erlegten Tierkadavern in Fütterungsexperimenten zu simulieren, hatten die Wissenschaftler Säugetierkadaver ausgelegt, die mit Metallpartikeln verschiedener Größe und Form präpariert waren. Dabei verwendeten die Forscher ausschließlich nicht-toxische glatte Eisenpartikel anstatt bleihaltiger Munition, um jegliche Vergiftungen und Verletzungen der Aasfresser zu vermeiden. Die Fütterungsexperimente wurden in den Revieren sechs freilebender  Seeadlerbrutpaare während der Jagdzeiten der Jahre 2007 bis 2009 im Naturpark Nossentiner/Schwinzer Heide in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Sie ergänzten Experimente mit sechs Seeadlern in menschlicher Obhut, die zur Rehabilitation vorübergehend in der Naturschutzstation Woblitz in Brandenburg untergebracht waren. Sowohl die freilebenden als auch die Seeadler in den Volieren zeigten das gleiche selektive Fressverhalten: Eisenpartikel mit einer Größe bis zu 3 mm wurden sehr häufig aufgenommen, während größere Metallteile typischerweise aussortiert und Partikel mit 8,8 mm Durchmesser nahezu vollständig vermieden wurden.

Herkömmliche bleihaltige Büchsengeschosse, insbesondere der weiche Bleikern, zersplittern beim Eindringen in den Tierkörper in zum Teil unter einem Millimeter kleine Fragmente. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass eben solche kleinen Partikel von den Aasfressern bei der Nahrungsaufnahme verschluckt werden. Besonders während der Jagdsaison ernähren sich Aasfresser häufig von Säugetierkadavern, welche Partikel von Büchsengeschossen enthalten. Bleivergiftungen durch Geschosspartikel stellen die häufigste Todesursache für Seeadler dar. „Auch andere aasfressende Vögel sind von diesem Risiko betroffen“, erklärt Oliver Krone vom IZW. „Unsere Beobachtungen zeigen, dass neben den Seeadlern vor allem Raben und Bussarde zu den Hauptkonsumenten der Kadaver zählen.“

Die Studie liefert den ersten Nachweis, dass Aasfresser es bei der Nahrungsaufnahme vermeiden, große Metallpartikel zu verschlucken. Demnach sind Projektile, die beim Auftreffen auf einen Tierkörper deformieren oder in Stücke von mindestens 9 mm Größe zerfallen, eine geeignete Jagdmunition, um Metallvergiftungen bei aasfressenden Vögeln zu verhindern. Diese Eigenschaften treffen auf zahlreiche bleifreie Büchsengeschosse zu.

Publikation:
Nadjafzadeh MHofer H, Krone O (2015): Lead exposure and food processing in white-tailed eagles and other scavengers: an experimental approach to simulate lead uptake at shot mammalian carcasses. EUR J WILDL RES; DOI 10.1007/s10344-015-0953-1

 

Kontakt:
Leibniz-Institut für Zoo und Wildtierforschung (IZW)
im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17
10315 Berlin
 
Dr. Oliver Krone
Tel.: +49 30 5168-212
 
Steven Seet
Tel.: +49 30 5168-125
 
Dr. Mirjam Nadjafzadeh

 

-------------------------------------------------------------------------

Hintergrundinformation:

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) ist eine national und international renommierte Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft. Mit den Forschungszielen „Anpassungsfähigkeit verstehen und verbessern“ untersucht es die evolutionären Anpassungen von Wildtierpopulationen und ihre Belastungen durch den globalen Wandel und entwickelt neue Konzepte und Maßnahmen für den Artenschutz. Dafür setzt es seine breite interdisziplinäre Kompetenz in Evolutionsökologie und –genetik, Wildtierkrankheiten, Reproduktionsbiologie und –management im engen Dialog mit Interessensgruppen und der Öffentlichkeit ein.

Das IZW gehört zum Forschungsverbund Berlin e.V.

 

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 89 selbständige Forschungseinrichtungen. Deren Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Sie unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u.a. in Form der WissenschaftsCampi ‑, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 17.500 Personen, darunter 8.800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,5 Milliarden Euro.

www.leibniz-gemeinschaft.de