Wildtierkameras liefern Erkenntnisse über die Verbreitung bedrohter Arten im Truong-Son-Gebirge in Vietnam und Laos

Annamitisches Streifenkaninchen (Foto: Leibniz-IZW & WWF-Viet Nam & Song Thanh National Park)
Annamitisches Streifenkaninchen (Foto: Leibniz-IZW & WWF-Viet Nam & Song Thanh National Park)

Um dem weltweit zunehmenden Aussterben von Arten entgegenzuwirken, sind wirksame Artenschutz-Strategien dringend erforderlich, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Ökologie, die Verbreitung und dem Bestand der Arten beruhen. Mit Hilfe von Wildtierkameras gewann ein Wissenschaftsteam des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des WWF-Vietnam, Save Vietnam's Wildlife, Re:wild und FFI Vietnam neue Erkenntnisse über das Vorkommen und die Verbreitung des hoch bedrohten annamitischen Streifenkaninchens und zweier ebenso bedrohter Muntjakhirsch-Arten in sechs Gebieten in Vietnam und Laos. Das Team ermittelte die Treiber, die das Vorkommen dieser bedrohten endemischen Arten beeinflussen, und erstellte Vorhersagekarten für diese Gebiete. Die Daten und Karten sind in der Fachzeitschrift "Conservation Science and Practice" veröffentlicht.

Das annamitische Streifenkaninchen (Nesolagus timminsi) und die beiden Hirscharten Roosevelt-Muntjak (Muntiacus rooseveltorum) und Annam-Muntjak (Muntiacus truongsonensis) kommen nur im Truong-Son-Gebirge entlang der Grenze zwischen Vietnam und Laos vor. Die Wissenschaft weiß bisher wenig über die Ökologie, das Verhalten und die Verbreitung dieser Arten – gesichert ist, dass sie in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet stark gefährdet sind. Die Hauptbedrohung für das Streifenkaninchen und die Muntjaks ist die weit verbreitete Wilderei durch Auslegen von Drahtschlingen. Ein besseres Verständnis der Verbreitung der Bestände im Truong-Son-Gebirge und der Faktoren, die ihr Vorkommen beeinflussen, ist ein erster Schritt zur Entwicklung wirksamerer Schutz- und Erhaltungsstrategien.

Um mehr über diese Arten zu erfahren, führte das Wissenschaftsteam an sechs Standorten im nördlichen und zentralen Bereich des Grenzgebirges systematische Kameraerhebungen auf Landschaftsebene durch. Ihre Ergebnisse zeigten, dass das Vorkommen der Muntjaks und der Streifenkaninchen von verschiedenen Landschaftsfaktoren beeinflusst wird, darunter die Höhenlage, die Abgeschiedenheit der Gebiete und die an die Schutzgebiete angrenzende Bevölkerungsdichte, zwei Parameter also, die den Druck durch den Menschen und seine Jagd auf die Bestände repräsentieren. Das Ausmaß der Abgeschiedenheit wurde als durchschnittliche Reisezeit von Hauptstraßen zu einer Position innerhalb von Schutzgebieten berechnet. Die angrenzende Bevölkerungsdichte ergab sich aus der Dichte der Dörfer, sie quantifiziert also die Nähe zu menschlichen Siedlungen in der Umgebung der Schutzgebiete. Mit diesen Faktoren und den Nachweisen der Spezies auf den Bildern der Wildtierkameras entwickelten die Wissenschaftler mathematische Modelle, wie diese Faktoren das Vorkommen der Tiere an verschiedenen Standorten unterschiedlich beeinflussen.

“Die Faktoren, die die Verbreitung der Arten im Truong-Son-Gebirge beeinflussen, sind komplex”, sagt Thanh Van Nguyen, Doktorand am Leibniz-IZW. “Mit unserer Modellierung konnten wir untersuchen, wie sich diese Einflüsse auf das Vorkommen des annamitischen Streifenkaninchens und der Muntjak-Arten an verschiedenen Untersuchungsstandorten auswirken, und so diese Komplexität besser verstehen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Streifenkaninchen in einigen Gebieten in höheren Lagen und in anderen in niedrigeren Lagen vorkommt. Überraschenderweise gab es keinen eindeutigen Nachweis für einen möglichen Einfluß des menschlichen Jadgdrucks auf ihr Vorkommen. Bei den Muntjaks hingegen zeigte sich ein durchweg positiver Einfluss der Höhenlage, und an einigen Standorten waren die Vorkommen in abgelegeneren Gebieten größer als in siedlungsnahen Gebieten. Die detaillierte Untersuchung standortspezifischer Unterschiede in den verschiedenen Regionen lieferten den Schlüssel für die Erklärung des Vorkommens der Arten im Truong-Son-Gebirge.”

Obwohl die Wissenschaftler keine eindeutige Auswirkung der Bejagung auf das Vorkommen des Streifenkaninchens feststellten, fanden sie die höchsten Vorkommen dieser Art in den Saola-Naturreservaten in Vietnam, wo der WWF-Vietnam seit mehr als zehn Jahren intensive Maßnahmen zur Entfernung von Schlingfallen durchführt. Anh Quang Hoa Nguyen, Koordinator und Projektleiter beim WWF-Vietnam, fügt hinzu: “Wir sind stolz darauf, an diesem Projekt beteiligt zu sein und freuen uns darauf, die Informationen zum Schutz dieser und anderer wichtiger Arten zu nutzen, die die biologische Vielfalt in diesem Teil der Welt so einzigartig machen. Die Ergebnisse zum annamitischen Streifenkaninchen sind ein erstes vielversprechendes Zeichen dafür, dass unsere intensiven Schutzbemühungen in den Saola-Naturreservaten einen positiven Nutzen für den langfristigen Erhalt der endemischen Arten im Truong-Son-Gebirge haben können.” Cuong Xuan Tran, Direktor des Pu-Mat-Nationalparks (Vietnam), sieht ebenfalls den Nutzen dieser Arbeit für den Naturschutz. “Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein wichtiger Schritt zum Schutz dieser bedrohten endemischen Arten,” sagt Cuong Xuan Tran.

“Mit dieser umfassenden Datengrundlage werden wir in der Lage sein, die Bestände dieser Arten in den Gebieten, in denen wir tätig sind, zu überwachen und so die Auswirkungen unserer Schutzbemühungen zu messen”, sagt Dr. Andrew Tilker, Asian Species Officer bei Re:wild und Postdoktorand am Leibniz-IZW. Tilker ist auch Mitglied der IUCN-Spezialistengruppen für Hirsche und Hasenartige, mit Schwerpunkt auf den Muntjaks und dem annamitischen Streifenkaninchen. “Große Untersuchungen auf Landschaftsebene wie diese sind ein erster Schritt zur Umsetzung von evidenzbasierten Schutzinitiativen, die sicherstellen, dass diese Arten im Truong-Son-Gebirge überleben und gedeihen.”

Das annamitische Streifenkaninchen (Nesolagus timminsi) ist ein Waldbewohnener der Gattung der Hasenartigen (Lagomorpha), der in der Bergregion an der Grenze zwischen Vietnam und Laos beheimatet ist. Es wurde erst im Jahr 2000 erstmalig wissenschaftlich beschrieben, über seine Ökologie oder sein Verhalten ist noch wenig bekannt. Die Art ist durch den Verlust ihres Lebensraums und die Jagd mit Schlingfallen bedroht und wird auf der Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN als “stark gefährdet” eingestuft. Zu den Muntjaks in der Region gehören mindestens zwei bekannte – und möglicherweise weitere unbekannte – Arten, darunter das Roosevelt-Muntjak (Muntiacus rooseveltorum) und das Annam-Muntjak (Muntiacus truongsonensis). Die Muntjaks im Truong-Son-Gebirge sind kleine Hirsche mit dunklem Fell, winzigen Reißzähnen und einem Haarbüschel auf der Stirn. Da so wenig über diese Arten bekannt ist (inklusive ihrer Taxonomie) werden sie derzeit von der IUCN als “Data Deficient” (unzureichende Datengrundlage) eingestuft. Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen sind sich jedoch einig, dass die Bestände der Muntjaks in der Region durch die intensive Jagd zurückgegangen sind und die Arten mindestens als gefährdet anzusehen sind.

Publikation

Nguyen TV, Wilting A, Niedballa J, Nguyen A, Rawson BM, Nguyen AQH, Cao TT, Wearn OR, Dao AC, Tilker A (2022): Getting the big picture: Landscape-scale occupancy patterns of two Annamite endemics among multiple protected areas. Conservation Science and Practice. DOI: 10.1111/csp2.620

Kontakt

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin, Germany

Thanh V. Nguyen
Doktorand in der Abteilung für Ökologische Dynamik
Assoziierter Wissenschaftler bei Re:wild
Wissenschaftler im “Department of Natural Resources and Conservation”, CRES-VNU
Email: t.nguyen@izw-berlin.de / thanhnv2610@gmail.com

Dr Andrew Tilker
Postdoktorand in der Abteilung für Ökologische Dynamik
Asian Species Officer bei Re:wild
Email: tilker@izw-berlin.de / atilker@rewild.org

Jan Zwilling
Wissenschaftskommunikation
Tel: +49(0)30 5168121
Email: zwilling@izw-berlin.de

WWF-Viet Nam
No. 6, Lane 18 Nguyen Co Thach Str.,
Nam Tu Liem Dist., Ha Noi

Anh Quang Hoa Nguyen
Central Annamite Landscape species Coordinator und Project Manager
Email: anh.nguyenquanghoa@wwf.org.vn

Pu Mat National Park
Chi Khe Commune, Con Cuong District, Nghe An Province

Mr Cuong Xuan Tran
Direktor
Email: cuongtranpm@gmail.com