Wissenschaftler weisen erstmals tödliche Vogelgrippe-Infektion beim Seeadler nach
Stirbt ein Seeadler eines unnatürlichen Todes, waren bislang eine Bleivergiftung oder eine Kollision mit einem Zug die wahrscheinlichsten Auslöser. Im Winter 2016/2017 gab es jedoch zahlreiche Todesfälle in Norddeutschland, bei denen diese beiden Todesursachen ausgeschlossen werden konnten. Stattdessen waren 17 gefundene Seeadler in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg mit dem hochansteckenden Vogelgrippevirus H5N8 infiziert. Das haben Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), Timm Harder, Franz J. Conraths, Reiner Ulrich und Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI) und weitere Kollegen nachgewiesen. Die tödlichen Infektionen mit dem Virusstamm H5N8 2.3.4.4b sind die ersten Fälle der Vogelgrippe bei Seeadlern und stellen den Schutz der bedrohten Greifvögel vor neue Herausforderungen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Viruses“ erschienen.
Die Vogelgrippe bedroht seit mehreren Jahrzehnten Wildvögel und Hausgeflügel. Insbesondere Hühner, Gänse und Enten sowie weitere Wasservögel sind von den Infektionen mit unterschiedlichen Stämmen des Influenza-A-Virus betroffen. Immer wieder kommt es zu Epidemien, beispielsweise 1992 in Mexiko, 2006 in Mitteleuropa, 2015 in den USA und 2016/2017 erneut in Europa. Seeadler (Haliaeetus albicilla) schienen bislang von Ansteckungen verschont zu bleiben, obwohl für einzelne Greifvogelarten wie dem Wanderfalken oder dem Mäusebussard bereits Infektionen nachgewiesen wurden. Die Untersuchungen der 17 in Norddeutschland gefundenen Seeadler – 14 davon waren bereits tot und drei weitere zeigten starke Symptome wie Übererregbarkeit und Koordinationsschwierigkeiten – erbrachten nun den Nachweis, dass sich auch Seeadler infizieren können. Analysen des Erbguts der Viren zeigten, dass es sich nicht um den weit verbreiteten Influenzatyp H5N1 handelte, sondern um den Typ H5N8. Ferner identifizierten die Wissenschaftler durch eine vollständige Aufklärung des viralen Erbguts den Virusstamm 2.3.4.4b, der als hochaggressiv für Vögel gilt. Das Virus kann in den Tieren eine Gehirnentzündung (Polioencephalitis) auslösen. Messungen der Blei-Konzentration in Niere und Leber der Seeadler schlossen vorher Bleivergiftungen als Todesursache aus.
Die norddeutsche Tiefebene und die deutsche Ostseeküste sind der zentrale Lebensraum von Seeadlern in Deutschland. Dessen Verbreitungsgebiet erstreckt sich bis nach Grönland im Westen und Japan im Osten. In Deutschland gibt es derzeit 750 Brutpaare. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er durch menschliche Verfolgung und die Folgen des Insektizids DDT fast ausgerottet. Seit den 1980er Jahren erholen sich die Bestände wieder, nachdem die Verfolgung eingestellt und die Anwendung von DDT verboten wurde. Neue Bedrohungen entstanden, wie die Vergiftung durch bleihaltige Munition. Auch für Infektionskrankheiten sind die Tiere empfänglich: „Seeadler ernähren sich vor allem im Winter von Aas und, wenn verfügbar, auch von Wasservögeln“, sagt Oliver Krone vom Leibniz-IZW. „Natürlich sind kranke und schwache Tiere eine leichte Beute für den Seeadler. Das führt dazu, dass sich diese Greifvögel immer wieder Viren und anderen Krankheitserregern aussetzen.“
Für das Wissenschaftsteam bleiben noch einige Fragen unbeantwortet, die nun Gegenstand weiterer Untersuchungen sind. So ist beispielsweise noch unklar, warum bei der H5N1-Epidemie im Jahr 2006 offensichtlich keine Infektionen bei Seeadlern nachgewiesen wurden und warum sie im Winter 2016/2017 so stark davon betroffen waren. „Die Empfänglichkeit für unterschiedliche Virenstämme könnte artspezifisch sein“, so Franz Conraths und Martin Beer vom FLI. „Es könnte aber auch sein, dass die Unterschiede zwischen den Virenstämmen entscheidend sind. Der Virenstamm 2.3.4.4b scheint deutlich aggressiver für viele Vogelarten zu sein als früher aufgetretene Stämme, weshalb es jetzt möglicherweise auch die großen Seeadler getroffen hat.“ Bisher ist noch unklar, ob Infektionen für Seeadler unweigerlich tödlich verlaufen oder ob die Tiere die Infektion überstehen können – möglicherweise wenn die Stämme nicht so aggressiv sind – und anschließend immun sind. „Die Beobachtung, dass von den 17 Tieren der überwiegende Teil Jungtiere sind, könnte auch auf eine Immunisierung hindeuten“, ergänzt Krone. „.Entweder sind Jungtiere, wie in anderen Arten auch, besonders anfällig für Infektionen. Oder sie gehören zur Altersklasse, die zum ersten Mal mit einem Grippevirus infiziert wird. Wenn diese Tiere die Infektion überstehen, sind sie möglicherweise für weitere Infektionen ‚gerüstet‘. Ältere Tiere könnten also ‚immunologisch erfahren‘ sein und schon die eine oder andere Influenzaerkrankung durchgemacht haben, was sie widerstandsfähiger auch gegenüber neu aufkommenden Stämmen machen könnte.“
Für den Menschen scheint der Influenzatyp H5N8 weniger gefährlich zu sein als der Typ H5N1, durch den nach den Epidemien bei Vögeln mehrere hundert Menschen infiziert wurden. „Bisher ist für H5N8 keine Übertragung vom Tier auf den Menschen bekanntgeworden“, so die Wissenschaftler des FLI.
Publikation
Krone, O.; Globig, A.; Ulrich, R.; Harder, T.; Schinköthe, J.; Herrmann, C.; Gerst, S.; Conraths, F.J.; Beer, M. White-Tailed Sea Eagle (Haliaeetus albicilla) die-off due to infection with highly pathogenic avian influenza virus, subtype H5N8, in Germany. Viruses 10: 478 (2018).
https://www.mdpi.com/1999-4915/10/9/478
Kontakt
Dr. Oliver Krone
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Wildtierkrankheiten“
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Alfred-Kowalke-Straße 17
10315 Berlin
Tel: +49 (0)30 5168212
E-Mail: krone@izw-berlin.de
Prof. Dr. Franz J. Conraths
Leiter des Instituts für Epidemiologie und Vizeprädient des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI)
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17493 Greifswald - Insel Riems
Tel: +49 (0)38351 71522
E-Mail: franz.conraths@fli.de
Prof. Dr. Martin Beer
Leiter des Instituts für Virusdiagnostik des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI)
17493 Greifswald - Insel Riems
Tel: +49 (0)38351 71200
E-Mail: martin.beer@fli.de
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