Die Bedeutung repetitiver Genombereiche in der Evolution der Meeresschildkröten

DNA-Vergleiche zur Erforschung funktioneller und ökologischer Unterschiede stehen bei den Arten vor großen Herausforderungen, deren Genome nur wenige Unterschiede aufweisen (z.B. Meeresschildkröten). Daher wollen wir ein vollständiges Genom der Grünen Meeresschildkröte erstellen (in Chromosomen-Darstellung) und mit dessen Hilfe bioinformatische Werkzeuge zur Suche nach genomweiten Unterschieden (z.B. repetitiven Bereichen) entwickeln, die dann auch zum Vergleich mit anderen, gleichfalls wenige Unterschiede aufweisenden Arten genutzt werden können.

Projektdetails
Laufzeit: 05/2019 – 04/2023
Drittmittelfinanziert: ja
Beteiligte Abteilung(en): Abt. Evolutionsgenetik/BeGenDiv
Projektleitung im Leibniz-IZW:
Camila Mazzoni (BeGenDiv/Abt. Evolutionsgenetik)

Projektbeteiligte im Leibniz-IZW:

Larissa Souza Arantes, Tomás Carrasco Valenzuela
(alle: BeGenDiv/Abt. Evolutionsgenetik)
Jörns Fickel (Abt. Evolutionsgenetik)
Konsortialpartner:
Yaron Tikochinski, Ruppin Academic Center, Israel
Aktuelle Förderorganisation: DAAD-CONICYT
Forschungsschwerpunkte:
 
Populations- und evolutionsgenetische Analysen von Wirbeltierarten mit nur wenigen Polymorphismen stehen vor der großen Herausforderung, dass die durch Standardverfahren wie SNP-Identifizierung1 oder Multi-Lokus-Analyse gewonnenen genetischen Informationen häufig zu gering sind, um diese Analysen durchführen zu können. Diese Wirbeltierarten haben entweder eine sehr niedrige natürliche Mutationsrate (so dass kaum neue SNPs entstehen) und/oder haben im Verlauf ihrer Evolution den Großteil ihrer innerartlichen genetischen Variation verloren. Studien an diesen Wirbeltierarten könnten jedoch sehr von einem Nicht-Standardverfahren profitieren, das auf genetische Unterschiede abzielt, die mit einer deutlich höheren Mutationsrate evolvieren, die sogenannten repetitiven Bereiche2.
 

Eine Wirbeltiergruppe mit einem besonders niedrigen Anteil an Sequenzunterschieden (wenige Polymorphismen) sind die Meeresschildkröten. Obwohl die einzelnen Arten bereits durch mehr als 100 Millionen Jahre eigenständiger Evolution voneinander getrennt sind, weisen ihre Genome untereinan der nur geringfügige Unterschiede auf: alle Meeresschildkröten besitzen die gleiche Anzahl an Chromosomen und ihre DNA-Sequenzen sind untereinander sehr ähnlich. Von den fünf, in einem vorhergehenden Projekt untersuchten Meeresschildkrötenarten stellte sich die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) als diejenige mit den meisten Polymorphismen heraus (drei Unterschiede auf 1000bp3). Diese Anzahl ist zumindest der Anzahl an Unterschieden ähnlich, die in Krokodilen gefunden wurde, einer anderen Wirbeltiergruppe, die gleichfalls nur eine geringe Anzahl inner- und zwischenartlicher DNA-Sequenzunterschiede besitzt. Im selben Vergleich wies jedoch die Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) nur ein Zehntel der Unterschiede der Grünen Meeresschildkröte auf: 3 Unterschiede auf 10000 bp.

In enger Zusammenarbeit mit dem Wirbeltiergenom-Projekt (VGP4) streben wir die Erstellung des Genoms der Grünen Meeresschildkröte in bestmöglicher Qualität an. Dies ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Zuordnung der Sequenzen zu den jeweiligen Chromosomen. Ein qualitativ derartig hochwertiges Genom, das teilweise sogar in Phase ist (es können also homologe Chromosomen unterschieden werden) ist die Voraussetzung für eine detaillierte, genomweite Analyse genetischer Variabilität und kann zum unmittelbaren Direktvergleich mit dem ähnlich hochwertigen Genom der Lederschildkröte herangezogen werden.

Das Projekt, das mit dem Zusammensetzen5 des Genoms der Grünen Meeresschildkröte beginnt, hat drei Schwerpunkte:

  • eine detaillierte Analyse der vollständigen Genome zweier Meeresschildkrötenarten unter Einbeziehung der Teilgenomdaten von mindestens fünf weiteren Meeresschildkrötenarten, um DNA-Regionen mit repetitiven Sequenzabschnitten zu identifizieren,
  • die Entwicklung einer für die Identifizierung von Sequenzunterschieden in großen Genomen (einschl. repetitiver Bereiche) erforderlichen bioinformatischen Pipepline6 mit Meeresschildkröten als Modell, und
  • der Vergleich der Verteilungsmuster repetitiver Bereiche in Wirbeltiergruppen mit einer geringen Anzahl an Polymorphismen
1: engl.: Single Nucleotid Polymorphism (wenn sich zwei miteinander verglichene DNA-Sequenzen an einer Position unterscheiden.
2: das sind Bereiche der DNA, die sich mehrmals hintereinander wiederholen. Sowohl die Länge dieser Bereiche, als auch die Anzahl an Wiederholungen können stark variieren.
3: Basenpaare (Bausteine der DNA)
4: engl.: Vertebrate Genome Project (VGP)
5: Genome können aufgrund ihrer Größe nicht „in einem Stück“ sequenziert werden, sondern müssen aus vielen Teilabschnitten zusammengesetzt werden
6: Abfolge bioinformatischer Programme zur Sequenzanalyse