Verhaltensökologie und Evolutionsbiologie der Tüpfelhyänen-Population des Ngorongoro-Kraters: Wie (gut) passt sich ein gruppenlebendes Raubtier an soziale und ökologische Veränderungen an?

Wie – und wie gut – reagieren gruppenlebende Tiere auf soziale und ökologische Veränderungen? Um dieser Frage nachzugehen, untersuchen wir die Evolution von Sozialverhalten sowie Verhaltens- und Evolutionsprozesse, die die Lebensgeschichte und die Fitness gruppenlebender Tiere prägen anhand einer gesamten Population wildlebender Tüpfelhyänen (acht Gruppen, mehr als 2500 Individuen), die wir seit 1996 beobachten und für die wir einen fast vollständigen genetischen Stammbaum über neun Generationen erstellt haben.

Projektdetails
Laufzeit: Seit 04/1996
Drittmittelfinanziert: ja
Beteiligte Abteilung(en): Abt. Evolutionäre Ökologie, Abt. Evolutionsgenetik, Abt. Wildtierkrankheiten, Abt. ReproduktionsbiologieAbt. Ökologische Dynamiken
Projektleitung im Leibniz-IZW: Oliver Höner (Abt. Evolutionäre Ökologie)
Projektbeteiligte im Leibniz-IZW: Eve Davidian, Arjun Dheer, Bettina Wachter, Zimai Li (alle: Abt. Evolutionäre Ökologie), Alexandre Courtiol, Colin Vullioud, Camila Mazzoni, Renita Danabalan (alle: Abt. Evolutionsgenetik), Liam Bailey (Abt. Evolutionäre Ökologie + Abt. Evolutionsgenetik), Gudrun Wibbelt, Kristin Mühldorfer (alle: Abt. Wildtierkrankheiten), Jella Wauters (Abt. Reproduktionsbiologie), Sarah Benhaiem (Abt. Ökologische Dynamiken)
Konsortialpartner: Université de Montpellier, ISEM, CNRS (Frankreich), Australian National University (Australien), Technische Universität Berlin, Friedrich-Loeffler-Institut, Wageningen University (Niederlande), Tanzania People & Wildlife (Tansania), Tanzania Wildlife Research Institute (Tansania), Ngorongoro Conservation Area Authority (Tansania), American Express (USA)
Aktuelle Förderorganisation: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD), Werner Dessauer-Stiftung
Forschungsschwerpunkte: Verständnis von Merkmalen und evolutionären Anpassungen
Verständnis von Wildtiergesundheit und gestörter Homeostase
Verständnis von Herausforderungen für Wildtiere
Verbesserung der Lebensfähigkeit von Wildtierpopulationen
Entwicklung neuer Theorien, Methoden und Werkzeuge

 

Wir untersuchen, wie - und wie gut - gruppenlebende Tiere auf Veränderungen in ihrer sozialen und ökologischen Umwelt reagieren. Wir konzentrieren uns dabei auf fünf Hauptthemen: (i) die Evolution von Sozialverhalten und Verhaltens- und Evolutionsprozessen, die die Lebensgeschichte und die Fitness gruppenlebender Tiere prägen; dazu gehören Partnerwahl, sexuelle Konflikte, Reproduktionstaktiken, soziale Dominanz, kulturelle Evolution, Abwanderung; (ii) die Kosten und den Nutzen von Leben in Gruppen, um zu beurteilen, wie gut sich Sozialsysteme von gruppenlebenden Tieren an Veränderungen anpassen; (iii) das Zusammenspiel zwischen sozialer Umwelt, Verhalten, Physiologie und Fitness; (iv) das Zusammenspiel zwischen Veränderungen von demographischen und genetischen Merkmalen einer Population; (v) das Zusammenleben von Menschen und großen Beutegreifern.

Unser Untersuchungssystem für die Erforschung dieser Themen ist ideal. Wir beobachten seit 1996 die gesamte Population der Tüpfelhyänen (acht soziale Gruppen, mehr als 2500 Individuen) im Ngorongoro-Krater in Tansania. Wir haben Landzeitdaten über das Verhalten, die Lebensgeschichte, die Physiologie, die Gesundheit, die Ernährung, das Überleben und den Fortpflanzungserfolg dieser Hyänen gesammelt und einen fast vollständigen genetischen Stammbaum über neun Generationen erstellt. Dieser umfassende empirische Datensatz und ein individuelles Simulationsmodell, das auf unserem Wissen über das Hyänensystem basiert, bieten uns einzigartige Möglichkeiten, evolutionäre und angewandte Fragen auf allen drei Ebenen – Individuum, soziale Gruppe, Population – zu untersuchen.

Forschungsthema 1: Die Evolution von Sozialverhalten und sozialen und ökologischen Prozessen bei gruppenlebenden Tieren

Tüpfelhyänen leben in großen sozialen Gruppen von bis zu 130 Tieren. Sie zeigen komplexes Sozialverhalten, das dem von Primaten und Menschen gleicht, und sie leben in Gesellschaften, die durch Dominanzbeziehungen strukturiert sind. Wie bei anderen sozialen Arten hat der soziale Rang einen großen Einfluss auf die Leistung und Fitness einer Hyäne. Wir untersuchen, wie rangbezogene Eigenschaften und Privilegien auf die nächste Generation übertragen werden und wie sich Dominanzhierarchien und inter- und intrasexuelle Dominanz formen und entwickeln. Wir untersuchen auch, was Veränderungen im sozialen Umfeld (z.B. sozialer Rang, Geschlechterverhältnis, Verwandtschaft, Koalitionspartner) verursacht und wie das soziale Umfeld das Verhalten, die Reproduktionstaktik, die Lebensgeschichte und die Fitness eines Individuums beeinflusst. In Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen haben wir wichtige fitnessbezogene Mechanismen und Entscheidungsregeln (z.B. Partnerwahl, Wahl der Fortpflanzungs-Gruppe, soziale Unterstützung) identifiziert und untersuchen, wie diese Mechanismen und Regeln komplexe soziale, kulturelle, ökologische und evolutionäre Prozesse und Muster auf der Ebene der Gruppe (z.B. soziale Hierarchie und Unterschiede im Reproduktionserfolg) und der Population (z.B. geschlechtsspezifische Abwanderung, Genfluss) formen.

Forschungsthema 2: Kosten und Nutzen des Gruppenlebens und das Überleben von Populationen gruppenlebender Tiere

Das Leben eines niedrig-rangigen Mitglieds einer Gruppe kann sich sehr stark von demjenigen eines hochrangigen Mitgliedes unterscheiden. Wir untersuchen die Kosten und den Nutzen des Lebens in hierarchisch strukturierten Gesellschaften und die intrinsischen und ökologischen Faktoren, die die individuelle Fitness sowie die Demographie und das Überleben von Gruppen beeinflussen. Wir erforschen zudem, wie Populationen von in Gruppen lebenden Arten auf soziale, demographische und ökologische Veränderungen reagieren. Da Krankheitserreger eine wichtige Triebkraft evolutionärer Prozesse sind und das Überleben von Individuen, Gruppen und Populationen beeinflussen, dokumentieren wir die Gesundheit der Hyänen. In Zusammenarbeit mit der Abteilung für Wildtierkrankheiten erforschen wir die Auswirkungen von Infektionen mit Krankheitserregern auf die Gesundheit und Fitness der Hyänen sowie die Epidemiologie und die langfristigen Auswirkungen von Krankheitsausbrüchen bei gruppenlebenden Tieren.

Forschungsthema 3: Das Zusammenspiel zwischen sozialer Umwelt, physiologischen Kontrollmechanismen und dem Verhalten und der Fitness von Tieren

Wissen über die physiologischen Grundlagen von Verhalten und Lebensgeschichten und über die Anpassungsfähigkeit physiologischer Kontrollsysteme an Umweltveränderungen ist der Schlüssel zum Verständnis von Auswirkungen der sozialen Umwelt und vom Menschen verursachten Veränderungen auf die Tierwelt. Wir untersuchen die Ursachen und Folgen unterschiedlicher allostatischer Belastung und das Zusammenspiel zwischen allostatischer Belastung, Verhalten, Investition in die Reproduktion und Fitness bei gruppenlebenden Tieren. Dazu messen wir seit 1996 die Hormonkonzentrationen der Ngorongoro-Hyänen in Zusammenarbeit mit dem Endokrinologie-Labor der Abteilung für Reproduktionsbiologie und kombinieren diese Daten mit unseren Langzeitdaten über das Verhalten, die Lebensgeschichte und den Reproduktionserfolg der Hyänen. Wir wenden dabei eine Methode an, die wir in Zusammenarbeit mit den Abteilungen für Reproduktionsbiologie und Ökologische Dynamiken entwickelt haben und die es erlaubt, Hormonmessungen über lange Zeiträume und zwischen verschiedenen Laboren zu vergleichen.

Forschungsthema 4: Simulation der Hyänengesellschaft zur Untersuchung evolutionärer Fragen und zur Erhaltung von Wildtieren

Das Verständnis des Zusammenspiels zwischen den Veränderungen demographischer und genetischer Merkmale einer Population ist wichtig, um beurteilen zu können, wie sich Populationen und Arten entwickeln und wie sie auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren. Die beiden Ursachen von Veränderungen sind miteinander verbunden und durchlaufen komplexe Rückkopplungsschleifen. In Zusammenarbeit mit der Abteilung für Evolutionsgenetik entwerfen wir auf der Grundlage unserer Langzeitdaten über die Ngorongoro-Hyänenpopulation ein individuelles Simulationsmodell der Tüpfelhyänen-Gesellschaft. Dieses Simulationsmodell wird es uns ermöglichen, ein breites Spektrum grundlegender evolutionärer Fragen sowie Fragen, die praktische Auswirkungen auf die Erhaltung sozialer, gruppenlebender Arten haben, zu untersuchen.

Forschungsthema 5: Mensch-Beutegreifer-Interaktionen und Konflikte

Große Beutegreifer stehen wegen der Angriffe auf Nutztiere und Menschen oft im Konflikt mit Viehzüchtern. Unser Untersuchungsgebiet ist ein UNESCO-Weltkulturerbe, in dem seit Generationen Massai-Hirten und mehrere Arten von großen Beutegreifern (Löwe, Tüpfelhyäne, Streifenhyäne, Wildhund, Gepard, Leopard) nebeneinander leben. In Zusammenarbeit mit lokalen Interessenvertretern, internationalen Kollegen und den Abteilungen für Evolutionsgenetik und Reproduktionsbiologie wenden wir ökologische, genetische und sozialwissenschaftliche Methoden an, um das Zusammenleben von Menschen und Beutegreifern zu studieren und Konflikte zwischen Menschen und Beutegreifern zu entschärfen.

Erfahren Sie mehr über dieses Projekt unter https://de-ngorongoro.hyena-project.com/.

Ausgewählte Publikationen

Vullioud C*, Davidian E*, Wachter B, Rousset F, Courtiol A**, Höner OP** (2019): Social support drives female dominance in the spotted hyaena. NAT ECOL EVOL 3, 71-76.

Davidian E, Courtiol A, Wachter B, Hofer H, Höner OP (2016): Why do some males choose to breed at home when most other males disperse? SCI ADV 2, e1501236.

Davidian E*, Benhaiem S*, Courtiol A, Hofer H, Höner OP, Dehnhard M (2015): Determining hormone metabolite concentrations when enzyme immunoassay accuracy varies over time. METHODS ECOL EVOL 6(5): 576-583.

Höner OP, Wachter B, Goller KV, Hofer H, Runyoro V, Thierer D, Fyumagwa RD, Müller T, East ML (2012): The impact of a pathogenic bacterium on a social carnivore population. J ANIM ECOL 81, 36-46.

Höner OP, Wachter B, Hofer H, Wilhelm K, Thierer D, Trillmich F, Burke T, East ML (2010): The fitness of dispersing spotted hyaena sons is influenced by maternal social status. NAT COMMUN 1, 60.

Höner OP, Wachter B, East ML, Streich WJ, Wilhelm K, Burke T, Hofer H (2007): Female mate-choice drives the evolution of male-biased dispersal in a social mammal. NATURE 448, 798-801.

Höner OP, Wachter B, East ML, Runyoro VA, Hofer H (2005): The effect of prey abundance and foraging tactics on the population dynamics of a social, territorial carnivore, the spotted hyena. OIKOS 108, 544-554.

Höner OP, Wachter B, Hofer H, East ML (2002): The response of spotted hyenas to long-term changes in prey populations: Functional response and interspecific kleptoparasitism. J ANIM ECOL 71, 236-246.